Biennale: Der Blick der Anderen

Das Festival für zeitgenössische Kunst zieht in diesem Jahr in den tiefen Südwesten Berlins - ein interessanter Ortswechsel, der neue Perspektiven verspricht.

Bei der Biennale 2012 ging es um politische Kunst. Bild: RTR

Was kann man sich von der 8. Berlin Biennale erhoffen? Zunächst darf man neue Orte erwarten. Neben den traditionellen Kunst-Werken in Mitte sind das Haus am Waldsee und der Museumskomplex in Dahlem zum ersten Mal Orte des Geschehens. Und natürlich ist das kein Zufall, sondern bereits eine programmatische Aussage.

Die Orte, der institutionelle Rahmen und das kuratorische Konzept, das beides reflektiert, spielen bei einem Event wie der Biennale immer eine große, wenn nicht die Hauptrolle – ganz egal wie gut die Kunstwerke sind, für die die Veranstaltung die Bühne bietet.

So hat der griechisch-norwegische Künstler Andreas Angelidakis im Kunst-Werke Institute for Contemporary Art in der Auguststraße in Mitte eine Art Ruhe-, Lese- und Veranstaltungsraum eingerichtet, der zwar mit seinen teppichbestückten Sitzgelegenheiten und den Deko-Säulen im Antike-Look praktisch benutzbar ist, jedoch selbst auch als Kunstwerk fungiert.

Kunst: Drei "spekulative Stränge" sind Kernthema der 8. Biennale, die am Himmelfahrtsdonnerstag bis zum 3. August ihre Pforten öffnet: das Zugehörigkeitsgefühl der BerlinerInnen zu ihrer Stadt, das Verhältnis selbiger zu Touristen, und vergangene und aktuelle Konzepte von Arbeit.

Orte: KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, Mitte; Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Zehlendorf; Museen Dahlem, Lansstraße 8. Programm: berlinbiennale.de (taz)

Die Message: Individualität

Auf komplexe Weise werden hier die interkulturellen Traditionen Griechenlands als ehemaliges Territorium des Osmanischen Reichs einerseits und als antike Wiege einer europäischen Identität andererseits verhandelt. Angelidakis’ „Crash Pad“, das in Betrieb ging, bevor die Biennale eigentlich losgeht, liefert eine Ahnung von dem, was Juan A. Gaitán mit seiner Biennale im Sinn hat.

Es ist eine Veranstaltung, in der Berlin die Bühne liefert für eine Darbietung, die diese Stadt selbst reflektiert. Die rund 50 an der Biennale beteiligten Künstler kommen aus der ganzen Welt. Das war Gaitán wichtiger, als große Stars zu verpflichten. Und auch Gaitán selbst, mit kolumbianischen Wurzeln in Toronto geboren, gehört als Mitglied des global agierenden Kunstzirkus zu jenen Weltbürgern, die überall und nirgends zu Hause sind.

Ein wesentliches Merkmal der kommenden Biennale ist also der Blick der Anderen auf die Stadt.

Die bunte Schar der Nationalitäten auf der Künstlerliste bringt verschiedene Perspektiven ins Spiel: auf die Stadt, auf die Kunst, auf die Probleme in der Heimat der Künstler. Schon deshalb fällt es schwer, einen roten Faden in dieser Biennale zu finden. Es gibt keinen. Es gibt nur einen Rahmen. Gaitán billigt den Künstler und ihrer Kunst weit reichende Autonomie zu. Das Individuelle ist – wenn man so will – Programm, Leitmotiv und Message der Biennale.

Gaitán erwartet von der Kunst der Anderen andere Perspektiven – auf Berlin und auf seine topologische Struktur. Das heißt nicht, dass die Künstler in Dahlem sich unbedingt und explizit mit den in den dortigen Museen befindlichen Sammlungen außereuropäischer Kulturen auseinandersetzen. Vielmehr ist der Ort jenseits des alten (Kunst-) Zentrums in Mitte selbst schon eine Möglichkeit, die Stadt anders und neu wahrzunehmen.

Der Ortswechsel der Biennale in den Südwesten Berlins symbolisiert also, wie die Perspektive auf die Stadt – begriffen als die Totalität der gegenwärtigen Lebensverhältnisse – sich jeweils ändert, wenn man den Standort wechselt. Von dem gutsituierten Dahlem aus sieht Berlin, sieht Deutschland, sieht die Welt doch noch einmal ganz anders aus als von der künstlerisch verbrauchten Mitte um die Auguststraße, die Neuem und Unerprobtem und Differentem keinen Platz mehr liefert. Nostalgische Gefühle ob dieses Verlusts aber wollte Gaitán nicht bedienen. Auch so erklärt sich der Ortswechsel.

Die Berlin Biennale, 1998 aus dem künstlerisch boomenden Milieus rings um die Auguststraße heraus entstanden, hatte – wenn sie gut war – immer auch die Funktion eines Gradmessers über die Verhältnisse in der (Kunst-)Stadt Berlin.

Die Biennale im vergangenen Jahr wollte dann nicht nur politisch sein, sondern sogar politisch wirken – und scheiterte: künstlerisch, und an eben jenem Anspruch, politisch sein zu wollen. Aber auch dieser Versuch war symptomatisch. Er versuchte, der Kunst in der Stadt einen neuen Stellenwert zu geben, da ihr das Politische völlig abhandengekommen war.

Beinahe vermessen

Der Wert der Berlin Biennale liegt nicht allein im Künstlerischen. Er liegt im Anspruch und manchmal auch in der Kühnheit einer Perspektive auf Ort und Zeit. Dieser fast schon vermessene Anspruch, dass die Kunst alle zwei Jahre der Stadt einen Spiegel vorhält, hat sich bewährt.

Die diesjährige Biennale von Juan A. Gaitán wird vieles neu bedenken lassen. Sie wird Anstoß sein, das Hier und Heute neu wahrzunehmen, weil es perspektivische Verknüpfungen mit dem Dort und Damals vorführt. Was das im Einzelnen sein wird, hängt von den künstlerischen Arbeiten ab, aber letztendlich wird sich das wesentliche Geschehen wieder einmal im Kopf der Besucher abspielen.

Man kann Gaitán zutrauen, dass er sowohl dem Auge als auch dem Verstand genug Futter geben wird. Er hat den Finger am Puls der Zeit – und er vergisst nie, dass jeder Blick auf die Verhältnisse, wenn sie zum Thema der Kunst werden, kritisch sein muss. Andernfalls wäre es keine Kunst, sondern Propaganda oder Werbung.

Die Berlin Biennale hat sich solchen Instrumentalisierungen bislang entziehen können. Und schaut man etwa auf Gaitáns Auswahl der Künstler, dann scheint die 8. Berlin Biennale das Zeug zu haben, die hohen Erwartungen an eine solche Veranstaltung zu erfüllen.

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