Bezirksamt gegen Frauensport: Roller-Derby-Girls im Regen
Die Kreuzberger Roller-Derby-Girls dürfen nicht in ihrer angestammten Turnhalle trainieren. Der Verein vermutet frauenfeindliche Vorurteile des Bezirksamts.
Übersetzen, Turn, Stop. Drei Skaterinnen fegen über den Platz vor einer Kreuzberger Turnhalle. "Go, go, go", feuert Coach Molly sie an, während ein kühler Wind dicke graue Wolken vor sich hertreibt. Als Stine zu einer halben Drehung ansetzt, bremst sie ein Steinchen auf dem glitschigen Asphalt. Gerade noch so fängt sie sich vor dem Boden ab. Die Bedingungen sind alles andere als ideal. Seit Juni dürfen die Roller-Derby-Girls des SV Lurich nicht mehr in der Turnhalle der E.-O.-Plauen-Grundschule trainieren.
Das Bezirksamt Kreuzberg erteilte dem Sport ein sofortiges Hallenverbot. Schockiert darüber fragte Peter Jung, der stellvertretende Vorsitzende des Kreuzberger Sportvereins Lurich, bei der zuständigen Abteilung für Sportförderung nach. "Der Leiter sagte, dass er es nicht gut fände, wenn Frauen im Kreis fahren und sich schubsen", sagt Jung. Der Hauptgrund sei der Turnhallenboden, der für Roller Derby angeblich nicht geeignet sei. Trotzdem findet Jung: "Das ist schlichtweg frauenfeindlich!" Auf Nachfrage der taz bestätigt der Leiter der Abteilung, Detlev Oßenkopp: "Meine persönliche Meinung ist, dass das eine merkwürdige Sportart ist." Aber das habe nichts mit dem Verbot zu tun, es ginge um den Boden. Das Hochbauamt müsse erst prüfen, ob der der DIN-Norm für das Betreiben von Rollsport entspricht. Das könne dauern.
Aufmerksam wurde die Verwaltung durch einen Fernsehbeitrag, der die "Berlin Bombshells" und damit einen Sport vorstellte, der in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt. Die Vollkontaktsportart, die meist von Frauen betrieben wird, entstand in den 1920er-Jahren in den USA und erlebt seit einigen Jahren auch in Europa ein Revival. Das Prinzip ist einfach. In einem ovalen Kurs jagen sich zwei Mannschaften à fünf Spielerinnen. Ziel des Kreiselns ist es, die führende Punktemacherin (Jammerin) der gegnerischen Gruppe zu überholen. Ihre Blockerinnen versuchen dies zu verhindern, wobei nur der Bodycheck mit Hüfte und Schulter erlaubt ist. Wild, aber nicht unzivilisiert, es gibt genaue Regeln für Fouls. Trotzdem sei der Körpereinsatz dem Beamten ins Auge gestochen, erzählt Jung. "Frauen könnten sich doch nicht so rempeln, hieß es." Ko-Trainerin Janina beschreibt die Vorzüge des Sports, während sie sich aus ihren Knieschützern schält. "Man trainiert vor allem Körperbeherrschung und Kondition."
Das samstägliche Training des Nachwuchses sieht harmlos aus, es ist nicht die erwartete Schubstruppe auf Skates. Kasia übt gerade Bremsen. Tief gebeugt rast sie los, dreht auf Kommando die Beine wie beim Schneepflug nach innen und kommt zum Stehen. Währenddessen tastet sich Jessi mit den rosafarbenen Haaren vorsichtig ans Rückwärtsfahren ran. "In der Halle war das besser, weil man sich im Notfall an der Wand abfangen konnte." Stine sitzt derweil noch auf den kalten Treppenstufen am Rand und montiert ihre neuen Rollen an den Schuhen, die nach Rollschuhdisko der 80er-Jahre aussehen. "Genau an dem Tag, als ich endlich meine eigenen Skates hatte, kam der Brief mit dem Trainingsverbot", erzählt die 29-Jährige, "da musste ich mir extra neue Outdoor-Rollen kaufen." Vier türkische Jungs gucken vom Rand des Spielfeldes zu. "Halt, Polizei! Alle erwischt!", ruft der Kleinste jedes Mal, wenn Molly ihre Trillerpfeife benutzt.
Im letzten Sommer gründete die Veranstaltungskauffrau Janina die "Bombensplitter" und damit bereits das dritte deutsche Team neben Stuttgart und Ludwigsburg. "Wenn man einmal zugeschaut hat, will man es sofort auch ausprobieren", sagt die Gründerin begeistert. Zu Beginn hieß es Do it yourself. Mithilfe von Videoanalysen und Tipps anderer Teams brachten sie sich den Sport quasi selbst bei. Mittlerweile sind sie schon um die 30 Mädels. Ausschließlich Frauen? "Nein, die Schiedsrichter beim Rennen können auch Männer sein", sagt Janina.
Beim Punk auf Rollschuhen geht es vor allem bunt zu: der Bout (Rennen) verbindet Sport mit Musik, und Showeinlagen, Nummerngirls inklusive. Die Skaterinnen nennen sich "Kamikatze" oder "Godzilla on Ice" und tragen kurze Röcke, Ringelsocken oder Netzstrümpfe. Einige sind tätowiert, andere gepierct, und auch bunte Haare fahren im Kreis. Genau dieses Aussehen habe den Beamten vom Bezirk auch geärgert, sagt Jung. "Aber andere Sportler tragen auch eine bestimmte Kleidung und wir eben das, und das ist nichts Besonderes", erklärt Janina. "Schminken ist übrigens nicht Pflicht", fügt sie an.
Doch die jetzige Situation ist unerträglich. Bei Wind und Wetter trainieren sie draußen. Wenn es regnet, muss alles kurzfristig abgesagt werden. "Eine kontinuierliche Vorbereitung ist da kaum möglich", sagt die Ko-Trainerin. Dass sie vor Kurzem bei einem Turnier in London in der Vorrunde ausgeschieden sind, liegt unter anderem auch an der unbefriedigenden Trainingssituation, vermutet sie. Die Bitte des Vereins, zumindest bis zum Wettkampf drinnen skaten zu dürfen, war auch vom Bezirksamt abgewiesen worden.
Wie es weitergeht, ist noch unklar. Vereinsvorstand Karin Gülpen kämpft mit allen Mitteln gegen das Hallenverbot, denn sie ist begeistert von der Sportart. "Roller Derby ist ideal, weil es die Leute anspricht, die sonst keinen Fuß in einen Sportverein setzen würden." Nachdem ihr Widerspruch gegen das Verbot vom Bezirksamt abgelehnt wurde, hat sie jetzt Klage beim Verwaltungsgericht eingelegt.
Um eine schnellere Lösung hat sich der Verein inzwischen auf eigene Kosten bemüht. Ein unabhängiger Gutachter vom Leipziger Institut für Sportbodentechnik hat den Hallenboden geprüft und festgestellt, dass er für den Rollsport geeignet ist, sofern einige Auflagen eingehalten werden - etwa, dass die Rollen nicht abfärben und die Skates keine Stopper besitzen.
Damit stünde einem sofortigen Trainingsbeginn nichts mehr im Weg. Nur das Bezirksamt sieht das anders. "Das Bauamt hat mitgeteilt, dass der Boden für Rollsport nicht geeignet ist", sagt Oßenkopp. Im Übrigen verstehe er nicht, warum sich der Verein so eine Mühe macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos