Bezirk rettet Wohnungen für Einheimische: Mitte gegen Ferienwohnungen
Als erster Bezirk geht Berlin-Mitte gegen die Umwidmung von Wohnraum in Ferienwohnungen vor. Der Erfolg gebührt einer Mieterinitiative. Anderen Bezirken fehlt die gesetzliche Handhabe
Der Baustadtrat von Mitte, Ephraim Gothe (SPD), hat ein Signal gegen die Ferienwohnungsplage gesetzt. Er verbot dem Eigentümer einer Anlage in der Wilhelmstraße, elf Wohnungen für Touristen zu nutzen. Kommt die B.Ä.R.-Grundstücksgesellschaft dieser Aufforderung binnen einer Woche nicht nach, drohen 10.000 Euro Zwangsgeld.
Damit wehrt sich zum ersten Mal ein Bezirk gegen die weitverbreitete Praxis, Wohnraum in Ferienwohnungen umzuwandeln. Ein "Musterverfahren" für andere Bezirke will Gothe damit schaffen. Für die Initiative, die seit Jahren gegen kommerzielle Vermietung in den Plattenbauten kämpft, ist dieser Schritt nur ein Teilerfolg. "Wir begrüßen, dass die Politik endlich aktiv wird", sagte Daniel Dagan von der Bürgerinitiative Wilhelmstraße Mitte der taz. "Aber es ist noch längst nicht alles getan." 257 Ferienwohnungen gebe es in seiner Wohnanlage, sagt Dagan.
Die ständig wechselnden Gäste beeinträchtigten sein Leben: "Es gibt Lärm, Müll und Störungen durch Touristen, die ihre Wohnungen nicht wiederfinden." Dass der Eigentümer nun wegen eines Aufgangs Probleme bekomme, sei nur ein bescheidener Anfang. "Die Brandschutzverordnung muss überall durchgesetzt werden - auf allen Etagen und im ganzen Bezirk."
Rechtliche Grauzone
Mehr als 10.000 Ferienwohnungen soll es nach Schätzungen des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes in der Stadt geben. Die nutzen eine rechtliche Grauzone: Bis zu drei Monate darf an zahlende Gäste untervermietet werden, ohne dass es als gewerbliche Nutzung gilt. Ab wann die vorliegt, ist schwer nachweisbar. Die Wilhelmstraße, wo AnwohnerInnen jahrelang gerichtsfeste Daten darüber sammelten, wer wann wo wie lange wohnte, bildet eine Ausnahme. Dass der Bezirk Mitte handeln kann, liegt auch an einer Betriebsverordnung des Senats von 2010. Diese besagt, dass Wohnhäuser mit mehr als zwölf Gästebetten pro Aufgang als Beherbergungsstätten gelten. Und damit die gleichen Sicherheits- und Brandschutzanforderungen wie Hotelbetriebe erfüllen müssen. Weil der Ausbau von Fluchtwegen vielfach teuer und problematisch ist, könnte die Verordnung das Geschäft mit Ferienwohnungen unattraktiv machen. Könnte - denn bislang ist Gothes Verbotsaktion die erste ihrer Art.
Die kommerzielle Nutzung nachzuweisen ist oft schwierig, wie Friedrichshain-Kreuzbergs Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) erfahren musste. Schulz wollte einem Eigentümer in der Bänschstraße unlängst die Ferienwohnungsnutzung verbieten. Doch der Eigentümer fand einen Trick: Er reduzierte die Bettenzahl pro Aufgang und deklarierte die Wohnung um - als Boarding-House. Damit ist Schulz machtlos: Denn für Hostels und Boarding-Houses ist keine Genehmigung erforderlich. 2009 bestätigte das Berliner Verwaltungsgericht, dass es sich dabei um eine wohnähnliche Nutzung handele.
"Um das Problem mit den Ferienwohnungen langfristig in den Griff zu kriegen, braucht Berlin endlich ein gesetzliches Zweckentfremdungsverbot, das die gewerbsmäßige Umwidmung von Wohnraum untersagt", sagte Schulz. Dies setze aber voraus, dass der Senat eine Wohnungsnotlage feststelle. Das zu tun, hatte sich die noch amtierende Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) bislang geweigert. Es bleibt also Sache der Bezirke, das Ferienwohnungsproblem zu lösen. In Mitte hat die BVV im September zumindest beschlossen, die Senatsbetriebsverordnung "unverzüglich" durchzusetzen.
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