Bezahlung der Schuldirektoren: Keine Kinder, kein Geld
Wenn Schulen schrumpfen, stehen RektorInnen vor der Wahl: Weniger Geld oder eine neue Stelle. Denn ihre Bezahlung ist an die Schülerzahl gekoppelt. Die Gewerkschaft beklagt das.
HAMBURG taz | Doris Jürs geht. „Ich habe vor den Sommerferien eine Versetzungsanordnung aus dem Ministerium erhalten, da ich nicht besoldungsentsprechend eingesetzt bin“, schreibt die Leiterin der Travemünder Stadtschule an die Eltern und fügt bedauernd hinzu: „Es wird nach Gesetzeslage und nicht nach persönlichem Empfinden entschieden.“
Ginge es danach, würde Jürs wohl bleiben: Die Leiterin hat an der Grundschule viel bewegt, findet ihr Kollegium, das „für den unermüdlichen Einsatz bis spät in die Nacht hinein und auch am Wochenende“ dankt. Aber trotz moderner Unterrichtskonzepte ist die Schülerzahl geschrumpft, und das bedeutet, dass die Leiterin vor der Wahl stand, weniger Geld zu bekommen oder sich versetzen zu lassen.
Doris Jürs ist kein Einzelfall: An rund 120 Schulstandorten in Schleswig-Holstein können 140 Lehrerinnen und Lehrer in Führungspositionen mit einem Abzug bei Funktionszulagen rechnen. Das ergab eine Anfrage der CDU-Fraktion im Landtag an das Bildungsministerium.
In allen Bundesländern werden Lehrkräfte gestaffelt nach Laufbahn und Schülerzahl besoldet.
Lehrergehälter beginnen mit rund 1.700 Euro monatlich, in der höchsten Stufe gibt es mit Leistungszulagen rund 5.000 Euro.
Einige Länder wollen die Schülerzahlen-Abhängigkeit der Gehälter überarbeiten.
Für bestimmte Schularten wird teilweise schon jetzt zahlenunabhängig besoldet.
Ungleichheiten gibt es zwischen Schularten: In Schleswig-Holstein stehen Rektoren von Gymnasien und Leiter berufsbildender Schulen bei ähnlichen Schülerzahlen in derselben Gehaltsstufe, während der Chefposten einer gleich großen Gemeinschaftsschule schlechter bezahlt wird.
Für Heike Franzen, schulpolitische Sprecherin der CDU, ist das ein Dilemma: „Wir werben wie blöd um Schulleiter, und wenn die da sind, wird ihnen das Geld gekürzt“, sagt sie. Sie fragt sich, ob das Land unter dem Strich tatsächlich Geld spart, schließlich brächten die Versetzungen Mehraufwand und Unruhe in den Kollegien mit sich.
Schuld an den sinkenden Zulagen ist der demografische Wandel: Während sich die Grundgehälter von verbeamteten Lehrkräften nach ihrer Ausbildung und den Berufsjahren staffeln, hängt die Höhe der Funktionszulagen von der Kinderzahl der Schule ab. Wird eine bestimmte Größe unterschritten, sinkt die Zulage.
Es geht um Summen von rund 150 bis über 400 Euro – diese Zulage kommt durch einen Sprung in eine höhere Gehaltsstufe zustande. Während die Kürzung schnell erfolgt, muss eine Schule drei Jahre eine Kinderzahl über den jeweiligen Grenzwerten nachweisen, bevor es höhere Zulagen gibt, sagt Matthias Heidn, Landesvorsitzender der Lehrergewerkschaft GEW.
Bei Gehaltskürzungen reagiert ein Gewerkschaftler eigentlich automatisch mit Protest, in diesem Fall ist Heidn zögerlich: „Es macht schon einen Unterschied, ob man ein Schulzentrum mit 3.000 oder eine Grundschule mit 150 Kindern leitet.“ Dennoch sei die Lage für die Betroffenen ärgerlich: Weniger Gehalt bedeute auch weniger Pension, und vor allem: „Die Schulleitungen können nichts dafür, dass es weniger Kinder gibt.“
Das Phänomen schrumpfender Schulen ist neu: „Bisher sind sie immer nur größer geworden“, erinnert Heidn. Er könnte sich vorstellen, künftig andere Kriterien für die Funktionszulage einzuführen: „Die Schülerzahl allein scheint nicht mehr zeitgemäß.“
Das Kultusministerium beruft sich auf das geltende Besoldungsrecht und den Gleichbehandlungsgrundsatz: Der Dienstherr müsse, so heißt es in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage der CDU, „eine Situation schaffen, bei der der beamtenrechtliche Status mit der ausgeübten Funktion übereinstimmt“ – also das Gehalt inklusive der Zulage der tatsächlichen Schülerzahl und dem damit verbundenen Aufwand entspricht.
Sinkt die Kinderzahl, eröffne das Beamtenrecht zwei Möglichkeiten, so das Ministerium: Entweder wird bei gleichbleibenden Bezügen an eine andere, größere Schule versetzt, oder die Lehrkräfte beantragen, finanziell heruntergestuft zu werden, um „auf diese Weise Funktion und beamtenrechtlichen Status wieder in Übereinstimmung zu bringen“. Wie oft welcher Fall in den vergangenen Jahren eintrat, sei statistisch nicht erfasst.
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