Bezahlbares Wohnen: Wenn die Bude zu viel kostet
Der Bau neuer Wohnungen für Mieter mit geringem Einkommen ist kaum bezahlbar. Ein Bündnis plädiert für mehr steuerliche Subventionen.
BERLIN taz | Jule S., Verkäuferin in Vollzeit, kommt auf 1.000 Euro netto im Monat. Sie will sich von ihrem Mann trennen und sucht eine Einzimmerwohnung in den Berliner Innenstadtbezirken – doch die Kosten für modernisierte Wohnungen sind so hoch, dass sie daneben kaum noch Geld zum Leben hätte. „Ich könnte genauso gut auf Hartz IV gehen“, klagt die 45-Jährige.
Für Geringverdiener und RentnerInnen können die Mieten in den Ballungszentren zum Verarmungsrisiko werden. Das hat das „Verbändebündnis Wohnungsbau“ auf den Plan gerufen, in dem der Deutsche Mieterbund und Organisationen der Bau- und Wohnungswirtschaft vertreten sind.
Am Mittwoch legten sie zwei Erhebungen vor, die sich mit der Frage beschäftigen, wie für Klein- und Mittelverdiener bezahlbarer Wohnraum neu gebaut werden kann. Denn die Neubaukosten sind durch die hohen Grundstückspreise in den Metropolen, Auflagen zur energiesparenden Ausstattung und anderer Vorschriften in die Höhe geklettert. Dadurch steigen die Mieten, die erforderlich sind, um die Kosten zu erwirtschaften.
„Wir brauchen mehrere Maßnahmen, um den bezahlbaren Neubau anzukurbeln“, sagt Ronald Rast, Koordinator des Bündnisses. Zum einem müssten die Kommunen Bauland günstiger an Investoren abgeben, die sich im Gegenzug verpflichten, bezahlbare Mietwohnungen zu errichten. Außerdem plädiert das Bündnis für mehr Wohnungsförderprogramme der Bundesländer mit verbilligten Krediten für die Bauherren, so wie es sie in begrenztem Maße bereits in Berlin, Hamburg und München gibt.
Bündnis für mehr Wohnungsförderprogramme
Als wichtigsten Punkt fordert das Bündnis von der Bundesregierung höhere steuerliche Förderungen für Investoren im Mietwohnungsneubau. Derzeit können jährlich zwei Prozent der Kosten von Neubauten für Abnutzung steuerlich abgesetzt werden. Das Bündnis plädiert für eine lineare Abschreibung von vier Prozent, in 25 Jahren wären die Baukosten – ohne Grundstückspreise – abgeschrieben.
Auf dem „Wohnungsbautag“ am Mittwoch machte das Pestel-Institut im Auftrag des Bündnisses eine einfache Rechnung auf. Danach muss ein Investor für einen Neubau, auch bei kostenoptimierter Planung, vom Mieter im Schnitt zehn Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter verlangen, um eine akzeptable Rendite zu erwirtschaften.
Würde der Gesetzgeber eine lineare Abschreibung von vier Prozent einführen, könnte der Investor die Kaltmiete um 2,63 Euro pro Quadratmeter senken. Mit verbilligtem Bauland aus Landesbesitz und anderen Fördermaßnahmen könnte man den Mietpreis zusätzlich verringern. Das Pestel-Institut schlägt 7,50 Euro kalt pro Quadratmeter vor, die durch Subventionierung der Baukosten erreicht werden müssten.
In den städtischen Ballungszentren aber sind für diese Miete derzeit kaum noch Wohnungen im Angebot. Modernisierungen und die entsprechenden Verteuerungen lassen das billige Preissegment schrumpfen. Laut einer Erhebung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung waren etwa in Berlin im Jahre 2008 auf dem Angebotsmarkt noch rund 90 Prozent der Mietwohnungen für unter acht Euro nettokalt pro Quadratmeter zu haben.
Unteres Preissegment? Fehlanzeige
Im Jahre 2013 gab es nur noch die Hälfte der Wohnungen für diese Mieten. In München ist das untere Preissegment in den Angeboten praktisch nicht mehr vorhanden. Dort ist für 89 Prozent der Wohnungen ein Mietpreis von elf Euro nettokalt und mehr zu zahlen. (siehe Graphik).
60 Prozent des Neubaus in Mehrfamilienhäusern sind ohnehin inzwischen Eigentumswohnungen. Vor fünf Jahren war nur die Hälfte Eigentum gewesen, zeigte eine am Mittwoch vorgelegte Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (Arge e.V.) in Kiel.
Die von Politikern gerne verbreitete Idee, der teure Eigentumswohnungsbau helfe auch weniger betuchten Mietern, weil die Wohlhabenden dann von billigen in Luxuswohnungen umziehen, wodurch günstigere Bleiben frei würden, „entspricht nicht der Wirklichkeit“, sagt Dietmar Walberg, Geschäftsführer der Arge e.V. „Wohlhabende ziehen eher aus teuren Wohnungen in teure um.“
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