Bewegungstermine in Berlin: Menschen können immer noch nicht illegal sein
Geflüchtete kamen im Wahlkampf nur als Objekt vor: Alle redeten über sie, niemand mit ihnen. Höchste Zeit für ein Revival der O-Platz-Besetzung.
N un ist es offiziell: Deutschland ist nach rechts gerückt. Die Dauerbeschallung mit dem Migration-ist-die-Mutter-aller-Probleme-Diskurs war ein großer Erfolg. Die AfD hat sich verdoppelt, auch die CDU/CSU hat dazugewonnen. Die Parteien, die immer noch behaupten, links der Mitte zu stehen, haben 12 Prozentpunkte verloren. Ein Wermutstropfen ist da nur, dass FDP und BSW rausfliegen und die einzige linke Partei im Deutschen Bundestag um vier Prozentpunkte zulegen konnte.
Es gibt an diesem Ergebnis auf Bundesebene nichts, aber auch gar nichts schönzureden. Die AfD wird künftig mit in der deutschen Regierung sitzen – ob nun innerhalb oder außerhalb der Koalition. Wann immer sich in der SPD Gewissensbisse regen (was erfahrungsgemäß selten passiert und noch seltener Konsequenzen hat): Die AfD wird bereitstehen, noch die ärgsten Widerlichkeiten mit der CDU durchs Parlament zu bringen.
Illegalisierte und geflüchtete Menschen sind am unmittelbarsten von diesem Rechtsruck betroffen. Im Wahlkampfdiskurs wurden sie zum Objekt erklärt, über deren Leben und Schicksal die Gesellschaft legitimerweise entscheiden könne. Die Betroffenen dieses Diskurses kamen dabei natürlich nach Kenntnis des Redakteurs nicht ein einziges Mal selbst zu Wort.
Ein pseudodemokratischer Hohn
Mit Demokratie hat das alles nichts zu tun. Denn Demokratie, das hat schon immer mehr bedeutet, als geheime Wahlen. Demokratie ist das Versprechen einer freien, gleichen und menschlichen Gesellschaft. Dementsprechend kann es auch nie demokratisch sein, darüber abzustimmen, ob bestimmte Menschengruppen entrechtet, inhaftiert und abgeschoben werden sollten. Egal wie eindeutig so eine Abstimmung ausgeht: Sie ist ein Angriff auf Liberté, Égalité und Fraternité, nicht Ausdruck dieser Werte.
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Und trotzdem besitzt die CDU die bodenlose Dreistigkeit, nun ausgerechnet die demokratische Zivilgesellschaft mit dem Argument anzugreifen, die Demos gegen rechts seien irgendwie undemokratisch gewesen. Um noch einmal daran zu erinnern: Friedrich Merz hat im Deutschen Bundestag zusammen mit den Faschisten der AfD einen Entschließungsantrag durchgebracht, der unter anderem Massenlager für Menschen ohne gültige Papiere fordert. Konkret spricht das Papier von der Inhaftierung aller „vollziehbarausreisepflichtiger“ Personen – Stand Dezember 2024 galten laut dem Mediendienst Integration etwa 40.000 Menschen als „unmittelbar ausreisepflichtig“. Der Antrag selbst spricht von zu Knästen umfunktionierten alten Kasernen.
Man möchte ausrasten, wenn man angesichts solcher glasklaren Angriffe auf die Menschenwürde das Rumgeopfere der CDU hört, weil Menschen mit Lichterketten auf die Straße gehen oder auch das ein oder andere Parteibüro besetzen. Ganz nach dem Motto: „Man darf doch gefälligst noch ungestört und ungefährdet darüber reden, wie bestimmte Menschengruppen entrechtet und abgeschoben werden können!“. Der radikalisierte Konservativismus ist bei der Wolfs-im-Schafspelz-Strategie angekommen, völlig offen gegen Menschengruppen vorzugehen, und „Foul!“ zu schreien, wenn sich jemand wehrt. Vielleicht ist Höcke ein bisschen stolz.
Revival der O-Platz-Besetzung
Doch diese Strategie funktioniert nur über „Othering“, nur indem die Menschen, über die geredet wird, fiktiv und fremd bleiben. Der unauflösliche Widerspruch besteht darin, dass die Menschen, um die es geht, faktisch oft bereits seit Jahren in Deutschland leben, sich hier verlieben, zur Arbeit, Schule oder Uni gehen. Doch würde anerkannt, dass sie faktisch längst Teil dieser Gesellschaft sind, würde der scheindemokratische Betrug auffliegen. Man stelle sich nur ein TV-Duell vor, in dem Friedrich Merz mit einem „vollziehbar Ausreisepflichtigen“ über den Wert von dessen Leben debattiert. Es wäre keine sehr demokratische Optik.
Welchen besseren Moment könnte es deshalb dafür geben, dass geflüchtete Aktivist:innen das legendäre Protestcamp am Oranienplatz wiederbeleben wollen, in dem von Oktober 2012 bis zur Räumung anderthalb Jahre später gegen die schon damals menschenverachtende Flüchtlingspolitik protestiert wurde? Endlich mit eigener Stimme zu sprechen, ist eines der Ziele der einmonatigen Protestaktion, die am Samstag beginnt. Vom 1. bis zum 31. März werden erneut Zelte am Oranienplatz aufgebaut. Solidarisches Mitübernachten ist erwünscht (Ab Samstag, 1. März, Oranienplatz, 9 Uhr).
Mitmachparade für einen freien Görli
Ein Ort, wo besonders gut die rechte Sündenbock-Politik beobachtet werden kann, ist der Diskurs über den Görlitzer Park. Immer wieder werden hier alle sozialen Probleme, die der Kapitalismus so mit sich bringt, auf diejenigen projiziert, die hier Drogen dealen, weil ihnen eine reguläre Beschäftigung verboten wird. Als Lösung der Probleme wird nicht die soziale Arbeit, geschweige denn die Entkriminalisierung von Migration, ins Feld geführt – sondern die Polizei, die gefälligst alles überwachen und kontrollieren soll.
Mauern und Flutlichter sollen also die Lösung sein! Dafür lässt der Senat auch mal das ein oder andere Milliönchen springen, sparen lässt sich ja noch an verzichtbaren Dingen, wie Frauenhausplätze oder an der Jugendsozialarbeit. Gegen diesen Wahnsinn richtet sich die große Görli-zaunfrei Mitmachparade von Initiativen aus dem Kiez (Samstag, 1. März, Falkensteinstr. 7, 14 Uhr).
Über den speziellen antikurdischen Rassismus will derweil ein Soliabend für Rojava in der Neuköllner Kiezkneipe Syndikat aufklären. Liza Koç vom Zentralen Menschenrechtsrat der Kurd:innen in Deutschland wird über die Hintergründe, Gefahren und Folgen für die Betroffenen von antikurdischen Rassismus sprechen – und Lösungsansätze aufzeigen. Es wird auch traditionelle kurdische Volksmusik und Küfa geben (Samstag, 1. März, Emser Straße 131, 18 Uhr).
Offenes Antifa-Treffen
Bereits am Donnerstag eröffnet die Ausstellung „Hello Italy“ des Fotojournalisten Arez Ghaderi, geboren 1987 in Sanandaj, einer kurdischen Provinz im Iran. Ghaderi kam selbst als Geflüchteter nach Deutschland und hat im Dezember 2022 als Teil einer Seenotrettungsmission der Organisation SOS Humanity Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa fotografiert. Seine Bilder erzählen die Geschichten dieser Menschen (Donnerstag, 27. Februar, Franz-Mehring-Platz 1, 19 Uhr).
Der Rechtsruck ist inzwischen auch in Kreuzberg angekommen. Einige Nachbar:innen machen sich Sorgen um ihren Bezirk, der sich schließlich immer dadurch ausgezeichnet hat, dass verschiedene Lebensmodelle nebeneinander existieren können. Damit das so bleibt, und sich der gemeinsame Widerstand gegen die zunehmenden rassistischen Übergriffe formiert, rufen die Nachbar:innen zu einer Versammlung im Regenbogenkino (Sonntag, 2. März, Lausitzer Straße 22, 16 Uhr).
Am Freitag beginnt schließlich ein Internationalistisches Forum zu Reparationen, zu dem das pan-afrikanische und internationalistische Netzwerk PARISC einlädt. 140 Jahre nach der sogenannten „Berliner Konferenz“ 1885 – wo die Grundlage für die Aufteilung Afrikas in Kolonien gelegt wurde – wollen die Aktivist:innen über die Verbrechen des Kolonialismus sprechen – und sich über gemeinsame Strategien für Reperationen austauschen. Alle Infos gibt es auf der Webseite der Konferenz (Freitag, 28. Februar, bis Sonntag, 2. März, Spore Initiative, Hermannstr. 86).
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