■ Bewegungsmelder: Dividenden aus dem Holocaust
„Deutschland denken heißt Auschwitz denken“: Nach einem länglichen Vortrag über die profitable Zusammenarbeit eines Chemieriesen mit der SS beim Holocaust vor mehr als 50 Jahren machte selbst der starke Spruch schlapp. Die rechte obere Ecke des Spruchbandes löste sich vom Vorhang auf der Bühne, viele Zuhörer hingen ermattet in den Vorlesungsbänken – schade.
Denn es ging an diesem Donnerstag abend in der Berliner Humboldt-Universität um eine wichtige Sache, den Auftakt zu einer bundesweiten Kampagne gegen die „Interessengemeinschaft Farben in Abwicklung“ (I.G. Farben i.A.). Sie ist die Nachfolgeorganisation eines „Kriegsverbrecherkonzerns“, wie selbst der der antikapitalistischen Raserei unverdächtige CDU-Politiker und letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière den Firmenverbund schon genannt hatte.
Die Geschichte des Konzerns ist schmutzig, und noch immer profitieren Aktionäre von dieser „Blutfirma“, sagt der frühere I.G.-Farben-Zwangsarbeiter Hans Frankenthal. Schon der Vorläuferkonzern „Dreibund“ aus Agfa, BASF und Bayer war wesentlich beteiligt an der Giftgas-Produktion im 1. Weltkrieg, wie der Hamburger Publizist Otto Köhler erläuterte.
Die große Zeit aber kam mit der Machtübernahme Hitlers, den der Konzern schon vor 1933 förderte und immer wieder mit Hunderttausenden von Reichsmark stützte. In Monowitz, sieben Kilometer entfernt von Auschwitz, baute der Firmenbund Anfang der vierziger Jahre ein riesiges Werk zur Produktion von künstlichem, kriegswichtigem Gummi und holte sich dafür Häftlinge des KZ Auschwitz.
Das Unternehmen zahlte an die SS „pro Hilfsarbeiter und Tag 3 Reichsmark, pro Facharbeiter und Tag 4 RM“, heißt es in den Akten – Sklavenarbeit und Vernichtung durch Arbeit in einem. 30.000 Häftlinge starben, der Bruttogewinn des Konzerns betrug 1943 mehr als 700 Millionen Mark.
Hans Frankenthal schuftete als 16jähriger im I.G.-Farben-Werk in Monowitz, nur seiner robusten Gesundheit verdankt er sein Überleben: Wer nicht arbeiten konnte, wurde in den Gaskammern von Auschwitz ermordet, sagt der Dortmunder Jude. Sein Bruder und Mithäftling Ernst, erkrankt an Gelbsucht, entging nur knapp dem Gas.
Nach dem Krieg wurde der Konzern entflochten, die Chemieriesen Bayer, Hoechst und BASF erbten 90 Prozent der I.G. Farben. Jüdische Zwangsarbeiter und ihre Hinterbliebenen im Westen wurden in den Fünfzigern mit etwa 27 Millionen Mark abgespeist, rein juristisch sind ihre Ansprüche abgegolten. Während die Häftlinge aus dem Ostblock – wenn überhaupt – noch weniger bekamen, verdienten Aktionäre der I.G. Farben i.A. weiter an ihren Anteilsscheinen.
„Helft uns, daß der Konzern aufgelöst wird“, forderte Frankenthal deshalb. Die etwa 30 Millionen Mark, die das brächte, sollten ehemalige Häftlinge erhalten, und auch die Nachfolgefirmen sollen zahlen. Das „Berliner Bündnis gegen I.G. Farben“ will die schon dreimal verschobene Aktionärsversammlung der Nachfolgeorganisation verhindern, und Frankenthal verlangt, mit dem Geld der Kriegsgewinnler das langsam zerfallende KZ Auschwitz zu erhalten – „auf ewige Zeiten“. Philipp Gessler
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