■ Bettler sollen raus aus aus den Innenstädten - gegen diesen Trend kämpfen politische Initiativen von Montag an mit einer "Aktionswoche" in mehreren Städten: Die City ist nicht für alle da
„Verzehr von Speisen und Getränken verboten“ – dieses Schild ziert keinen postmodernen Einkaufstempel und auch keine luxuriöse Konsumpassage. Es warnt vielmehr vor allzu öffentlichem Gebrauch des Los-Angeles-Platzes vor dem Hotel Steigenberger in der Berliner City. Der Platz, einen Steinwurf von der Gedächtniskirche entfernt, wurde an eine Privatfirma verkauft. Seit Beginn des Jahres gilt hier nicht mehr die öffentlich-rechtliche „Verordnung zum Schutz der Grünanlagen“, sondern das Hausrecht des Privateigentümers.
Verboten ist deshalb nicht nur der Konsum von Bier, Cola oder Currywurst, sondern auch das „Betreten der Parkanlage nach Einbruch der Dunkelheit“. Zuwiderhandlungen, so ist auf den zahlreich angebrachten Warnschildern mit der Überschrift „Privateigentum“ zu lesen, „werden zivil- bzw. strafrechtlich verfolgt“.
Mag der Verkauf einer öffentlichen Platzanlage – auch in Zeiten kommunaler Sparorgien – eine noch ungewöhnliche Maßnahme sein, ist die Richtung doch allgegenwärtig. Um im Wettbewerb der Ballungszentren um potente Zuzügler und damit Steuerzahler zu bestehen, setzen Kommunalpolitiker immer mehr auf „Urbanisierung“, auf propere, gemütliche, vor allem aber „ungefährliche“ Stadträume. Der Stadtbewohner und Tourist der 90er Jahre soll – nach amerikanischem Vorbild – nunmehr ungestört flanieren, ausruhen und kosumieren können. Kein Penner und kein Junkie sollen sein Auge beleidigen.
Aber Widerstand naht: Unter dem Motto „Gegen Ausgrenzung, Privatisierung und Sicherheitswahn“ organisiert ein Aktionsbündnis von Künstlern und politischen Initiativen von Montag an eine „Innenstadt-Aktionswoche“ in zahlreichen Städten in der Bundesrepublik sowie in der Schweiz und in Österreich. Zum Wochenprogramm gehören nicht nur Obdachlosenküchen mitten in der Stadt, sondern auch „Konsumkontrollen“ oder Kundgebungen gegen „rassistische Kontrollen der Polizei“ gegen Ausländer. Ziel der Aktionstage ist es, so die Veranstalter, den „schweigenden Konsens zu stören, wonach öffentliche Räume nicht für alle, sondern nur mehr einer „qualifizierten“ Öffentlichkeit zugänglich sein sollen.
Seit langem bereits warnen Stadtsoziologen wie der Berliner Hartmut Häußermann vor einer solchen Privatisierung des ehedem öffentlichen Raums der Stadt. Durch den Bau von Einkaufspassagen oder Malls, aber auch durch die zunehmende Präsentation des Straßenraums als Konsumraum ginge der demokratische Charakter des öffentlichen Raums verloren, sagt Häußermann. Der Zugang zu diesen Räumen sei nicht mehr jedem offen, sondern nur noch jenen, die ihn sich leisten könnten.
Wovor die Experten warnen, ist vielerorts schon praktizierte Wirklichkeit. In Berlin etwa wurden auf Drängen der AG-City, eines Zusammenschlusses von Einzelhändlern rund um den Kurfürstendamm, Obdachlose und Bettler von der Polizei an den Stadtrand verfrachtet. In Hamburg versuchte die SPD im vergangenen Herbst – allerdings erfolglos – das Betteln in der Innenstadt zu verbieten. In Frankfurt am Main wird seit längerem über eine „Gefahrenabwehrverordnung“ diskutiert, mit deren Hilfe die Einkaufsmeile „Zeil“ von Bettlern, Junkies und Obdachlosen gesäubert werden soll.
Gleichwohl sind polizeiliche Maßnahmen wie Bettelverbote und Platzverweise, anders als in New York mit seiner Politik der „Zero Tolerance“, hierzulande nicht nur politisch, sondern auch rechtlich umstritten. Erst vor kurzem hat der Wiesbadener Rechtsprofessor Wolfgang Hecker ein Gutachten zur „Regelung des Aufenthalts von Personen im innerstädtischen Raum“ vorgelegt, in dem derartige Maßnahmen als rechtswidrig bezeichnet werden. „Zwar läßt“, so Hecker, „die Rechtsordnung die präventive Abwehr von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten zu, pauschale Aufenthaltsverbote für Personen zur Nutzung des innerstädtischen Raums berühren aber Grundelemente der sozialen Ordnung.“
Auf juristische Argumente will sich unterdessen das Aktionsbündnis von Künstlern und politischen Initiativen nicht verlassen. Ein Protestzug in der kommenden Woche führt vom Los-Angeles-Platz zur Hauptversammlung der AG- City. Die Saubermänner und -frauen vom Ku'damm plädieren nämlich nicht nur für die Vertreibung von „Obdachlosen, Bettlern und Drogenabhängigen“, sondern rühmen sich auch, der Berliner Polizei auf die Sprünge geholfen zu haben. Seit 1993 kontrolliert nämlich eine „Operative Gruppe City- West“ den Kurfürstendamm. Die Bilanz der Truppe war bereits im ersten Jahr ganz nach dem Geschmack der Vertreter von „Zero Tolerance“: Gegen fast 4.000 Personen wurden Platzverweise ausgesprochen, und 7.000 Personen wurden kontrolliert. Uwe Rada
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