Betrugsfall in Bremer Sozialamt: Staatsdiener mit Fantasien
Im Bremer Sozialamt soll sich ein Mitarbeiter um mehr als 400.000 Euro bereichert haben. Dort sollen auch unbearbeitete Akten weggeworfen worden sein.
Insgesamt gebe es drei Beschuldigte, sagte Frank Passade, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Eine Person aus dem Umfeld des Amtsmitarbeiters habe ein Konto geführt, auf das die Geldbeträge geflossen seien. Die dritte Person arbeite ebenfalls in der Abteilung für Unterhaltsvorschusszahlungen im Amt für soziale Dienste.
Ob diese Person in Mittäterschaft handelte oder etwa selbst getäuscht wurde, ist Gegenstand der Ermittlungen. Bernd Schneider, Sprecher der Bremer Sozialbehörde, sagte der taz, in der Behörde gelte das Vier-Augen-Prinzip. Wer eine neue Akte anlege, müsse dies von sich abwechselnden Kolleg:innen gegenzeichnen lassen. In der Abteilung seien 45 Personen beschäftigt.
Ans Licht kam der Betrug laut Schneider aufgrund von internen Kontrollen im Rahmen eines Qualitätsmanagements. Dabei seien Fälle überprüft worden, in denen das Sozialamt Alleinerziehenden anstelle des anderen Elternteils Unterhaltsvorschuss zahlte, ohne dass diese Kindergeld bekamen.
Bereits fristlos gekündigt
Diese Konstellation sei sehr selten, sagte Schneider. Bei einem Mitarbeiter hätten sich solche Fälle gehäuft. Überprüfungen hätten ergeben, dass dies daran lag, dass die Personen, die angeblich einen Unterhaltsvorschuss beantragt hatten, gar nicht existierten und daher auch kein Kindergeld beziehen konnten.
Nachdem interne Ermittlungen den Verdacht erhärtet hätten, sei umgehend die Staatsanwaltschaft eingeschaltet worden. Zeitgleich hätten die beiden beschuldigten Mitarbeiter Hausverbot bekommen, später sei ihnen fristlos gekündigt worden. Wie viele Alleinerziehende der oder die Beschuldigten erfunden haben, kann die Staatsanwaltschaft derzeit nicht sagen.
Sehr viel länger hatte sich ein ehemaliger Mitarbeiter des Hamburger Sozialamts gemeinsam mit einem freien Mitarbeiter bereichert: Diese waren laut einem Bericht des Hamburger Abendblatts Anfang 2020 jeweils zu einer Haftstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt worden. Demnach hielt es das Gericht für erwiesen, dass sie sich zwischen 2003 und 2015 in betrügerischer Absicht 300.000 Euro überwiesen und dafür ebenfalls Familien erfunden hatten. Allerdings ging es dabei nicht um Unterhaltsvorschussleistungen, sondern um andere Hilfen, für die Rechnungen gestellt wurden.
Ein Teil der Taten sei verjährt gewesen, heißt es in dem Artikel, sodass der Sozialamtsmitarbeiter – Leiter einer Regionalstelle – wegen Betrugs am Ende in nur 46 Fällen mit einer Schadenssumme von 170.000 Euro verurteilt wurde, sein Helfer in 33 Fällen. Die Einzelbeträge müssen demnach deutlich niedriger gewesen sein als die, um die es mutmaßlich in Bremen geht.
Unbearbeitete Akten weggeworfen
Dort hatten die ersten internen Ermittlungen quasi als Beifang ergeben, dass in derselben Abteilung offenbar zwei Mitarbeitende Akten vernichten wollten, ohne sie zu bearbeiten. Dies sei bei der Überprüfung von Containern herausgekommen, in denen Papier zum Schreddern aufbewahrt wurde, so Behördensprecher Schneider. Gefunden wurden ihm zufolge 500 Schriftstücke: Anträge, Widersprüche gegen abgelehnte Leistungen sowie Korrespondenz. Wie viele Familien davon betroffen sind, sei unklar. „Alle Berechtigten sollen jetzt möglichst schnell ihr Geld bekommen“, sagte Schneider. Zu diesem Zweck würde die Abteilung personell unterstützt.
Weitere Überprüfungen von Aktencontainern in allen sechs Bremer Sozialzentren hätten nur vereinzelt unbearbeitete Schriftstücke zutage gefördert. Inwiefern es strafbar ist, Schriftstücke unbearbeitet wegzuwerfen, prüft die Bremer Staatsanwaltschaft derzeit noch.
Bremer Politiker:innen regen sich mehr über die nicht bearbeiteten Anträge auf als über den mutmaßlichen Betrug. „Wenn Anträge einfach weggeworfen werden, bedeutet das für die Betroffenen, dass sie monatelang oder schlimmstenfalls sogar ganz ohne die notwendige finanzielle Unterstützung auskommen müssen“, hieß es in einer Mitteilung der CDU-Fraktion, die sich zudem darüber beschwerte, darüber nicht informiert worden zu sein.
Die „kriminellen Machenschaften“ einzelner Mitarbeiter seien das eine, teilte die FDP-Fraktion mit. „Noch erschreckender ist, dass die Ermittlungen auch einen katastrophalen Umgang mit Unterstützungsanträgen aufdeckten, die einfach im Müll landeten.“ Kritik kam nicht nur von der Opposition. Auch von den Grünen, die mit SPD und Linken in Bremen regieren, hieß es: „Da bemühen wir uns seit Jahren, die Situation von Alleinerziehenden in Bremen zu verbessern, ihnen viele Alltagshürden zu nehmen … und dann wird sich in genau der für diese Menschen verantwortlichen Abteilung bereichert oder die Arbeit verweigert.“
In einer Woche will Sozialsenatorin Claudia Schilling (SPD) der Sozialdeputation über weitere Erkenntnisse zu dem Fall berichten. Zuvor habe man die Öffentlichkeit nicht informiert, um die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht zu gefährden, sagte ihr Sprecher.
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