Betrug über Spam-E-Mails: Miese Märchen
Das ganze Jahr über spült uns das Internet merkwürdige Botschaften in den Spamordner. Darin wird an unsere Moral appelliert – damit wir weich werden.
In den Ländern, wo der Schamanismus wiederbelebt wird, so in der Mongolei, beklagen sich die guten Schamanen über die bösen, die gegen Geld etwa den Konkurrenten eines Geschäftsmannes auf magische Weise Schaden zufügen. Die modernen Schadenzauberer machen das auf eigene Rechnung und per E-Mail, die sie gleich an zigtausend Mailadressen schicken. Es sind Geschichten, die überzeugen wollen, die wirken sollen. Sie erzählen Märchen, an deren Ende immer ein Klumpen Gold auf einen wartet, wenn man ihre Mails öffnet, um einen sagenhaften Gewinn einzustreichen.
So ermahnt mich der Justitiar der spanischen Lotteriegesellschaft fast regelmäßig, ich solle endlich die 800.000 Euro, die mir gehören, „abrufen“. Dabei habe ich dort nie Lotto gespielt – und öffne deswegen seine Mails gar nicht erst. Dieser Schadenzauber geht also ins Leere. Die Ethnologin Jeanne Favret-Saada hat in den 1980er Jahren die noch praktizierte „Schadensmagie“ im ländlichen Frankreich und ihre „kunstvolle Wendung ins Unschädliche“ untersucht. Dazu braucht es einen professionellen „Unwitcher“. Heute genügt ein Mausklick, um sie zu „löschen“.
Die Geschichten müssen also immer besser werden. Eine anrührende von einer „Naomi André“ beginnt so: „Guten Morgen, mit Tränen schreibe ich Ihnen heute, Bitte ignoriere meine Nachricht nicht. Ich bete darum, dass meine Entscheidung, Sie zu kontaktieren, echte Zustimmung findet, ich möchte eine Investition und eine vertrauliche Geschäftsbeziehung mit Ihnen haben.“
Es geht darum, dass ihre Mutter starb und ihr Vater ermordet wurde, er hinterließ ihr 4,5 Millionen Dollar. Sie will fliehen. Um an das Geld heranzukommen, muss es ins Ausland überwiesen werden. Wenn ich mich bereit erkläre, Empfänger zu sein, „gebe ich Ihnen 20% und die restlichen 80% für meine Auslands-Investitionen.“ Die Mail endet mit der Versicherung: „Es fällt nicht schwer, mir zu helfen. Ich warte darauf, von Ihnen zu hören.“
Zurück auf die Erde
Diese Geschichte findet der Empfänger vielleicht peinlich, ein Tränendrüsengeschäft. Eine Technikgeschichte stößt dagegen eher auf sein Interesse, schon weil sie so absurd ist: „Streng vertraulich. Ich bin Dr. Bakare Tunde, der Vetter des nigerianischen Astronauten Air Force Major Abacha Tunde. Er war der erste Afrikaner im All.“ Es geht darum, dass der Vetter 1988 noch einmal ins All flog, „mit Soyuz T-16Z zu der sowjetischen geheimen militärischen Raumstation Salyut 8T. Dort strandete er in 1990, als die Sowjetunion aufgelöst wurde.“
Und befindet sich noch heute da oben. Er will zurück auf die Erde, dazu braucht es sehr viel Geld: „In den ganzen Jahren, die er auf der Station ist, hat er an Gehalt und Zinsen fast 15.000.000 amerikanische Dollars angesammelt. Dieses Geld ist in einem Treuhandfond der Lagos National Savings and Trust Association. Wenn wir Zugriff auf dieses Geld bekommen, können wir den russischen Raumfahrtbehörden eine Anzahlung für einen Soyuz-Rückflug leisten, um ihn auf die Erde zurück zu bringen. Dies kostet 3 Millionen US-Dollars. Um auf seine Treuhandgelder zuzugreifen, benötigen wir Ihre Unterstützung.“ Hier werden mir ebenfalls 20 Prozent angeboten. „Natürlich setzen wir dabei enormes Vertrauen in Sie.“
Zur Magie dieses Spiels gehört: An einem Weltraumabenteuer teilnehmen. Und dabei auch noch reich werden. Das wirkt schon deswegen auf „magische“ Weise, weil wir nie wirklich „modern“ waren, wie der Wissenssoziologe Bruno Latour herausfand. Die Betrüger – früher Handarbeiter heute Kopfarbeiter – erzählen Märchen zum Mitmachen, das macht aus ihnen Schadenzauberer: Wenn du wissen willst, wie es weitergeht, musst du auf „Bestätigen“ klicken. Wir befinden uns in einem „interkommunikativen Medium“, d. h. immer weiter klicken – bis es zur nächsten „Bestätigung“ kommt, dass du eine bestimmte Summe überwiesen hast, damit das „Geschäft“ vorankommt. Danach geht es aber weiter, immer weiter. Noch mehr Klicks.
Eine Risikogeschäft, das sich lohnen soll
Einmal schickte Bernie Madoff, der 80-jährige Anlagebetrüger, der 2009 wegen Veruntreuung von 65 Milliarden Dollar zu 150 Jahren Haft verurteilt worden war, eine Mail über seine Anwälte raus. Er bedauerte darin sein Vergehen und wollte allen Geschädigten, aber auch mir, eine Wiedergutmachung zukommen lassen: „Ich habe Millionen Euros in Offshore-Finanzhäusern, es befindet sich auf einem Nummernkonto. 50% davon soll für Wohlfahrtszwecke ausgegeben werden und 20%, um damit den Bau von Kirchen und Moscheen mit zu finanzieren. Und 25% sind für Dich“ – also für mich.
Angebote, in denen man bei einem bestimmten „Risikogeschäft“ 50 Prozent bekommt, sind selten – so wie im richtigen Leben. Aber ein solches als Schadenzauber, der im Wochentakt aufblinkt und mit einem Batzen Geld winkt, macht einem auf Dauer schlechte Laune, denn es geht dabei immer um das Eine. Das haben diese Geschichten mit Pornos gemein. „Hallo. Ihre E-Mail-Adresse wurde zufällig mit einem ‚Computer Spinball‘ ausgewählt, um eine Geldspende von Katharina Hedwig Muller (KHM Foundations) zu erhalten. Bitte bestätigen Sie den Besitz Ihrer E-Mail.“
Oder: „Herzliche Glückwünsche: Ihre E-Mail hat Ihnen als Community die Summe von 2 Millionen Euro eingebracht Spende von Oxfam Aid, für weitere Informationen kontaktieren Sie uns mit Ihrer Qualifikationsnummer (OXG / 111/461/BDB) so bald wie möglich.“ Oder „Bangkok Bank Public Company. Wir sind dabei, die Zahlung für die beigefügte Rechnung auf Anweisung unseres Kunden vorzunehmen. Wir haben jedoch festgestellt, dass der Kontoname nicht mit dem Namen Ihres Unternehmens übereinstimmt … Bitte bestätigen Sie so schnell wie möglich. Grüße Masnaini Rusli.“
Wer ist Robert?
Bei den Geschichten der Erzähler solcher Märchen, die man jederzeit in sein Leben hinein verlängern könnte (wenn man nur wollte), gibt es ebenso Konjunkturen wie bei der Namensmagie der Passwörter. Derzeit mehren sich natürlich Corona-Geschichten – wie z. B. diese: „Hallo, Ihr COVID-19-Antrag für Finanzhilfefonds in Höhe von 800.000,00 US-Dollar enthält weitere Informationen zur Einreichung Ihrer Antwortanträge. Die Mittel werden innerhalb der nächsten Stunden freigegeben. Dein, Sir, Desmond Williams.“
Die Suche nach ihm im Internet war vergeblich, es gibt zu viele Desmond Williams, mit und ohne Sir und weil ich kein Spam-Kritiker werden will, brach ich die Suche nach ihm bald ab. Ohnehin war es eine lieblos dahin erzählte Kurzmail, die einen nur für Sekunden aufmerksam machte.
Schwieriger ist das Wegklicken bei all den Mitmach-Märchen, die ein moralisches Problem ins Spiel bringen, indem sie so konkret wie möglich werden: Mich namentlich anreden und am Ende „Dein alter Kumpel Robert“ schreiben. Kenn ich einen Robert? Wer könnte das sein? Dieser Robert, so schreibt er jedenfalls in seiner „Notmail“, steht ausgeraubt und hilflos am Flughafen London und bittet um eine schnellstmögliche Überweisung von 340 Euro. Nun bin ich in London zwar auch schon mal ausgeraubt worden, aber wer ist denn bloß dieser Robert? Löschen!
Einfach nur ein Egoist
Der am Flughafen gestrandete geht einem aber noch eine Weile nicht aus dem Kopf: versuchter Betrug oder unterlassene Hilfeleistung? Als Schadenzauber ließe sich diese Geschichte bestimmt noch moralischer ausgestalten. So wie die Fortschritte in der Medizin zu einer immer größeren Wehleidigkeit geführt haben, stumpft man umgekehrt im Internet gegen die ganzen Moralmails ab, und wenn es dabei um Geld geht, wittert man sofort Schadenzauber. Vor allen Dingen, wenn dann später auch noch „Notmails“ von „Jens“ und von „Uwe“ kommen, die ebenfalls hilflos im Londoner Flughafen auf eine Geldanweisung von mir – ihrem „Kumpel“ – warten.
Es handelt sich bei diesen „betrügerischen Gewinnversprechen“ (Not lindern, Freundschaft) um eine Zwickmühle: Geld oder Unmoral. Geld überweisen, guter Mensch sein; kein Geld überweisen, böse, egoistisch. Und das sind erst die Anfänge dieser intelligenten (Erzähl-)Technik. IT-Experten gehen davon aus, dass sich ein großer Teil aller E-Mails, die sekündlich auf der Welt verschickt werden, darunter auch die vielen zwischen Paaren, argumentativ in dieser „Zwickmühle“ bewegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn