Betrug im Gesundheitswesen: Mit der Pflege Geld erschwindeln
Die Kaufmännische Krankenkasse stellt Abrechnungsbetrug in Höhe von 3,4 Millionen Euro allein bei den Pflegediensten fest. Tendenz steigend.
Gerade im Bereich der ambulanten Pflegedienste „scheinen immer mehr Menschen mit hoher krimineller Energie unterwegs zu sein“, erklärte Dinah Michels, Chefermittlerin bei der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH), die den Fall am Mittwoch in Hannover vorstellte. Durch Abrechnungsbetrug sei der KKH im Jahre 2021 ein Schaden von 4,7 Millionen Euro entstanden, soviel wie noch nie zuvor.
Für den Rekord seien vor allem betrügerische ambulante Pflegedienste verantwortlich, die rund 3,4 Millionen Euro erschwindelten, so Michels. Sie stellte aber klar: „Es sind immer nur einige wenige schwarze Schafe, die kriminell agieren“. Die Prüfgruppe Abrechnungmanipulation der Kaufmännischen Krankenkasse erhielt 2021 bundesweit 352 Betrugshinweise, darunter waren 147 Tatverdächtige bei ambulanten Pflegediensten. Insgesamt gibt es in Deutschland rund 15.000 Pflegedienste.
In Einzelfällen kommen hohe Schadenssummen zusammen: So besteht in Sachsen-Anhalt gegen zwei Pflegedienste der Verdacht, dass die mit der KKH abgerechneten Pflegekurse nur teilweise oder gar nicht stattfanden. Das Abrechnungsvolumen beider Pflegedienste für die Kurse liegt allein bei der KKH schon bei zehn Millionen Euro.
Geld für „Luftleistungen“
Die Ermittler:innen stoßen auf die Abrechnungsbetrügereien durch die Überprüfungen der Medizinischen Dienste der Krankenkassen oder durch Hinweise von Patient:innen oder ehemaligen Mitarbeiter:innen. In Bremen berichteten ehemalige Mitarbeiter:innen einer Pflege-Gmbh, dass angeblich von ihnen erbrachte Leistungen zu Zeiten erfolgten, zu denen sie gar nicht im Dienst waren. Die Ermittler:innen sprechen dabei von sogenannten „Luftleistungen“. Die können detailliert sein: In einem Fall wurde das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen berechnet, aber gar nicht durchgeführt.
Ein Klassiker ist die Abrechnung von Leistungen durch vermeintliche Fachkräfte, die aber in Wirklichkeit durch Hilfskräfte oder Auszubildende erbracht werden. In Nordrhein-Westfalen fuhren Auszubildende und Praktikant:innen Touren zu den Pflegebedürftigen, die qualifizierten Kräfte unterschrieben im Anschluss die Leistungsnachweise.
Heikel ist der Fall einer Pflegedienst-GmbH, die im Rahmen einer beatmungspflichtigen Pflege eine Pflegekraft einsetzte, die über keine entsprechende Qualifikation verfügte. Michels berichtete von dem Fall. Angehörige von pflegebedürftigen Intensivpatienten schildern ähnliche Vorkommnisse, verweisen aber auch darauf, dass oft das ausgebildete Personal fehlt für die intensivmedizinische häusliche Pflege, insbesondere, da es sich hier um eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung handelt, die alternativlos ist.
Neben den ambulanten Pflegediensten sind es Krankengymnasten und Physiotherapeut:innen, die den Abrechnungsprüfern aufgefallen sind. Oft setzten physiotherapeutische Praxen nicht ausreichend qualifiziertes Personal bei sogenannten Zertifikationsleistungen ein, wie etwa Manuelle Therapie, Lymphdrainage oder Krankengymnastik am Gerät, sagte Michels.
Infusionslösungen mit zu wenig Wirkstoff
Wenn Ärzt:innen Leistungen abrechnen, die sie gar nicht erbringen sondern beispielsweise nur deren Weiterbildungsassist:innen, dann ist dies ein Fall für die kassenärztlichen Vereinigungen. In einem solchen Fall in Schleswig-Holstein erstattete die Vereinigung Strafanzeige, wie Michels schilderte. Die Krankenkasse ist dabei nicht direkt geschädigt, denn Ärzt:innen rechnen innerhalb ihrer Budgets mit den kassenärztlichen Vereinigungen ab.
Spektakulär sind die Betrugsfälle bei Apotheken, die patientenindividuelle Infusionslösungen für Krebspatient:innen herstellen. In Sachsen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen Apotheker, der Infusionen für individuelle Chemotherapien produzierte, die gar kein oder zu wenig an den Wirkstoffen Zytostatika enthielten, schilderte Michels. In Bottrop war vor vier Jahren ein ähnlicher Fall aufgeflogen.
Im Gesundheitssektor in Deutschland sei in den letzten Jahren ein kontinuierlicher Anstieg der Ausgaben zu verzeichnen, erklärte André Schmidt, Oberstaatsanwalt in Braunschweig und für Korruptionsbekämpfung zuständig. Im Jahr 2021 haben die Gesundheitskosten rund 441 Milliarden Euro betragen, dies sei ein Anstieg um fast 150 Milliarden Euro in den vergangenen zehn Jahren. Eine solch „unvorstellbare Summe“ wecke Begehrlichkeiten, von diesen Mitteln unrechtmäßig zu partizipieren, so Schmidt. Fehlende Transparenz erschwere die Kontrolle der Akteure. Das Zusammenwirken der Institutionen, das Abrechnungs- und Vergütungssystem sei für die Patient:innen „wenig durchschaubar“.
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