Anne Fromm über Pauschalisten in Medienunternehmen: Betrug an der Allgemeinheit
Es ist ein offenes Geheimnis unter Journalisten: Die meisten deutschen Zeitungs- und Magazinverlage beschäftigen seit Jahren Pauschalisten, die haarscharf an der Grenze zur Scheinselbstständigkeit stehen. In vielen Fällen arbeiten sie zu den gleichen Bedingungen wie Festangestellte, stehen im Dienstplan, haben einen festen Arbeitsplatz und eine Mailadresse, die Sozialabgaben übernimmt aber nicht der Verlag, sondern die Künstlersozialkasse. Und damit auch der Steuerzahler. Das birgt ein hohes Risiko für die Pauschalisten, die einfach gekündigt werden können, kein gesetzliches Anrecht auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder in der Schwangerschaft haben – und es ist Betrug an der Allgemeinheit.
Nun ändern viele Verlage diese Beschäftigungspraxis. Aber erst, nachdem die Behörden und Gesetzgeber aktiv geworden sind. Beim Kölner Verlag M. Dumont Schauberg stand im vergangenen Jahr der Zoll vor der Tür. Beim Tagesspiegel führte eine Buchprüfung vor knapp zwei Jahren dazu, dass die Zeitung ihre Pauschalisten fest anstellte. Springer hatte sich aus Angst vor Durchsuchungen selbst angezeigt, jetzt reagieren auch Süddeutsche Zeitung und Gruner + Jahr. Deren Handeln fällt zusammen mit einem Gesetzesentwurf aus dem Arbeits- und Sozialministerium, der Scheinselbstständigkeit enger definiert und damit verfolgen will.
Plötzlich finden alle Verlage Lösungen für ihre Pauschalisten, im Falle der SZ sogar eine ziemlich faire. Das ist gut, und doch fragt man sich, warum das alles erst jetzt passiert. Es ist ein Skandal, dass dieses System so lange Bestand haben konnte. Gerade in einer Branche, die jeden Scoop genüsslich feiert – zu Recht, weil es ihre Aufgabe ist, Skandale aufzudecken. Wenn die Skandale aber in ihren eigenen Häusern stattfinden, ziehen Verleger und Chefredakteure den Kopf ein und hoffen, dass niemand etwas merkt. Warum? Ganz einfach: Wenn es alle so machen, dann halten auch alle die Klappe.
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