Betriebsrat unter Druck: AssistentInnen auf der Abschussliste
Die Geschäftsführung der Hamburger Assistenzgenossenschaft attackiert ihre Belegschaftsvertretung mit Abmahnungen und droht mit Amtsenthebungen – doch die Betriebsräte wehren sich

Mehr als 250 Männer und Frauen sind bei der HAG als Assistenz-HelferInnen beschäftigt, fast ausnahmslos in Teilzeit. Sie helfen behinderten Menschen zum Teil im 24-Stunden-Schicht-System in ihren Wohnungen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu realisieren. Ein neunköpfiger Betriebsrat hat seit Jahren die Interessen der AssistentInnen bei der HAG im gegenseitigen Einvernehmen wahrgenommen.
150 Stunden aberkannt
Doch die Zusammenarbeit wird von der HAG-Geschäftsführung zunehmend in Frage gestellt. Diese hielt bestehende Betriebsvereinbarungen nicht mehr ein, sodass das Gremium vor das Arbeitsgericht ziehen musste. Auch den Wirtschaftsausschuss, in dem ArbeitnehmerInnen und Unternehmen gemeinsam über die wirtschaftliche Zukunft sprechen, erklärte die Geschäftsführung für aufgelöst. Begründung: Die HAG sei neuerdings ein caritatives Unternehmen, das dem Tendenzschutz unterliege. Und im Frühjahr erkannte die Geschäftsführung dem Betriebsratsvorsitzenden 150 Stunden Betriebsratsarbeit nicht als Arbeitszeit an.
Die Hamburger Assistenz-Genossenschaft ist mit ihren 260 Beschäftigten im Sinne des Betriebsverfasssungsgesetz (BetrVG) ein mittelständisches Unternehmen, dessen Betriebsrat aus neun Mitgliedern besteht.
Betriebsräte solcher Größe haben Anspruch nach Paragraf 38 BetrVG auf ein freigestelltes Mandat, das in der Regel der Betriebsratsvorsitzende bekleidet. Dabei wird von einer 38,5-Stunden-Woche ausgegangen.
Da in der HAG nur in Teilzeit gearbeitet wird, teilen sich drei Betriebsräte die Freistellung nach Paragraf 38 BetrVG und sind somit nur nach Paragraf 37 BetrVG freigestellt. Damit rächt sich die Unternehmensstrategie der Vergangenheit, auf Teilzeitbeschäftigte zu setzen.
Die anderen ordentlichen Betriebsrätehaben nach Paragraf 37 BetrVG den Anspruch, für Ausschüsse, ordentliche Sitzungen oder bei Bedarf freigestellt zu werden.
Eine weitere Eskalationsstufe erreichte der Konflikt im Juni. Von oben gab es die Dienstanweisung, dass die Betriebsräte trotz ihres Mandates ihre vertraglichen Verpflichtungen einzuhalten hätten und fester Bestandteil der Dienstpläne in voller Stundenzahl wären. Die Notwendigkeit der Ausschusssitzungen des Betriebsrates oder anderer Tätigkeiten wie Themen seien darzulegen und zu genehmigen.
Ansprüche müssen die BetriebsrätInnen einklagen
„Seit Juni startete die Geschäftsführung nun massive Angriffe auf unsere betriebliche Selbstorganisation“, berichtet der Betriebsratsvorsitzende Karl Schaaf. „Sie zweifeln die Erforderlichkeit des Betriebsrats an: man könne ihn sich nicht mehr leisten“, so Schaaf. Daher werde die geleistete Arbeit als Betriebsräte nicht als Arbeitszeit angerechnet. „Gleich, ob Büroarbeit oder Ausschüsse, die Geschäftsführung stellt vieles in Frage, was wir als Betriebsratstätigkeiten für zwingend erforderlich halten“, berichtet Goebel. Fast alle Betriebsräte seien daher gezwungen, ihre Ansprüche auf Entlohnung für geleistete Arbeit individuell vor dem Arbeitsgericht geltend zu machen.
Die Geschäftsführung begründet die Zahlungsverweigerung mit der Formulierung im Betriebsverfassungsgesetz, dass die Tätigkeit als Betriebsräte ein „unentgeltliches Ehrenamt“ sei.
In der Tat dürfen Betriebsräte laut Betriebsverfassungsgesetz nicht für ihr Mandat vom Unternehmen besonders vergütet werden. Denn dadurch wären sie unter Umständen bestechlich. Bereits in den nächsten Sätzen des Gesetzes steht aber deutlich, dass sie für ihre Arbeit als Betriebsräte von ihrer normalen Arbeit freigestellt werden müssen. Und wenn sie aufgrund betriebsbedingter Gründe Betriebsratsarbeit außerhalb der regulären Schichtplanungen absolvieren müssen, dann sei diese Mehrarbeit als Freizeit auszugleichen oder als Mehrarbeit zu vergüten.
Sonderschichten und Abmahnungen
Doch damit nicht genug: Zuletzt versuchte die Geschäftsführung Schaaf aufs Glatteis zu führen. Aus heiteren Himmel verpflichte die Schichtleiterin den Betriebsratschef, in einer Woche mehrere Assistenzen zu übernehmen und seine Betriebsratstätigkeit ruhen zu lassen, obwohl er als Betriebsratsvorsitzender für diese Tage seine Freistellung geltend gemacht hatte und seine Zwangsverpflichtung als Eingriff in die Betriebsratsarbeit geißelte.
Als sich Schaaf weigerte, diese Assistentenzschichten zu übernehmen, weil Betriebsratsarbeit Vorrang habe, hagelte es zwei Abmahnungen wegen Arbeitsverweigerung, Nötigung der Schichtleiterin und die Ankündigung, ein Amtsenthebungsverfahren wegen Missbrauch des Betriebsrats-Mandates einzuleiten.
Auch gegen die Abmahnungen werden die BetriebsrätInnen vor dem Arbeitsgericht klagen. Sie hoffen, dass die RichterInnen die Geschäftsführung in die Schranken weist.
Eine Stellungnahme zu dem Komplex wollte der geschäftsführende HAG-Vorstand in den vergangenen Tagen nicht abgeben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Treffen in Riad
Russland und USA beschnuppern sich vorsichtig