corona in hamburg
: „Betrieb der 80er wieder da“

Foto: Bertold Fabricius

Frauke Untiedt

50, ist seit September 2019 Leiterin der Hamburger Bücherhallen.

Interview André Zuschlag

taz: Frau Untiedt, was wird in den Bücherhallen in diesem Lockdown-Zeiten viel ausgeliehen?

Frauke Untiedt: Traditionell sind Filme über die Jahreswende der Renner. Aber derzeit wird etwas umfangreicher Ablenkendes ausgeliehen: Schöne Dinge, mit denen man sich die Zeit angenehmer gestalten kann. Hinzu kommt nun viel Kinder- und Schulliteratur.

Wegen der – mehr oder weniger – geschlossenen Schule?

Das hat mit dem vermehrten Homeschooling zu tun. Alle bereiten sich jetzt darauf vor, ihre Kinder tatkräftig dabei zu unterstützen. Leider sind die Bibliotheken in Niedersachsen und Schleswig-Holstein geschlossen. In den Bücherhallen am Rand von Hamburg merken wir das. Dass die Stadtbibliothek in Norderstedt geschlossen hat, spüren die Mitarbeitenden der Bücherhalle im Alstertal erheblich.

Heißt das, digitale Angebote werden doch nicht so intensiv genutzt?

Viele unserer Kund:innen kommen in dieser Zeit gar nicht mehr zu uns, sondern nutzen ausschließlich das digitale Angebot. Das bauen wir auch immer weiter aus. Zwei Probleme aber gibt es: Wir können leider bei digitalen Büchern und Hörbüchern nicht auf alle Lizenzen zugreifen, die wir gern bereitstellen würden. Wir haben noch immer kein Recht, eine Lizenz zu kaufen, wenn uns der Verlag diese Lizenz verwehrt. Bei aktueller Sachliteratur beispielsweise kommen wir an etwa 70 Prozent der Bestseller-Literatur nicht heran.

Woran liegt das?

Obwohl sich der Trend zum digitalen Lesen verstärkt, hat die Politik darauf noch nicht reagiert. Bei gedruckten Büchern gibt es die sogenannte Bibliothekstantieme, mit der wir unseren Kunden auch aktuelle Literatur bereitstellen können. Doch dieses Instrument wurde bislang noch nicht in den digitalen Raum übertragen. So sind wir eingeschränkt im Angebot digitaler Informationen. Dabei sind öffentliche Bibliotheken verpflichtet, den Zugang zu Informationen zu gewährleisten.

Und was ist das zweite Problem?

Wir haben den Bibliotheksbetrieb der 1980er-Jahre wieder, weil die Besucher:innen nur noch zum Abholen oder Abgeben von Medien kommen. Wir sind kein Ort mehr, an dem man sich aufhalten kann. Und deswegen fallen Austausch, Begegnung und Voneinanderlernen weg. Das ist auch für das Kollegium traurig, auch für unsere vielen ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Neben dem Raum und den Beständen sind Veranstaltungen die dritte Säule, die bei uns fest verankert ist. Das heißt: Für die Mitarbeitenden fällt der Beifall für eine gelungene Veranstaltung weg, etwas, das sie organisiert haben, müssen sie wieder absagen, und die Kontakte mit Externen fallen weg.