Betr.: Der Frauen-Aufbruch

Christina Schenk,Christiane Schindler:

Im Herbst 89 erreichte ein in Ost und West viele überraschendes, weil völlig unerwartetes Phänomen die Öffentlichkeit: der Aufbruch der Frauen in der DDR. In verschiedenen Städten stellten sich Frauen- bzw. Lesbengruppen öffentlich vor. Am 3. Dezember war es dann so weit: In der Berliner Volksbühne konstituierte sich der Unabhängige Frauenverband (UFV) als DDR-weiter Verband von Frauen. Seine Hoch-Zeit hatte er in den Wendetagen, als noch alles offen schien, es scheinbar die Möglichkeit gab, Gesellschaft zu verändern und zu gestalten. In der Zeit war der UFV Stimme der Frauenbewegung, ihre Vernetzungsebene, war Impulsgeber, Infopool, Organisator, Rückhalt, Geldbeschaffer, Ansprechpartner für die westdeutsche Frauenbewegung. Die nach den Volkskammerwahlen 1990 einsetzenden Abwehrkämpfe gegen die ungebremste Übertragung westdeutscher Verhältnisse und die zermürbenden, in der Regel völlig erfolglosen Versuche, wenigstens etwas von den wirklichen Errungenschaften der DDR in das einig Vaterland hinüberzuretten, stellten den UFV als dezidiert politische Organisation alsbald vor die Sinnfrage.

Mittlerweile ist der UFV den Weg aller BürgerInnenbewegungen des Wendeherbstes gegangen. Geblieben sind all die bewegten Frauen, für die der UFV ein Schnellkurs in feministischer Theorie und Praxis war, eine überaus wichtige Zeit im politischen und zumeist auch im persönlichen Leben.

Christina Schenk (47) und Christiane Schindler (42) waren maßgeblich am Aufbau des UFV beteiligt. Schenk sitzt heute für die PDS im Bundestag, Schindler ist ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin.

Sybill Klotz:

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es die Frauenbewegung als soziale Bewegung nicht mehr gibt, was sie mit den anderen sozialen Bewegungen gemeinsam hat. Mit der Frauenbewegung der Wendezeit verloren gegangen sind aber leider auch die informellen und viele formelle Kontakte zwischen Frauen in den unterschiedlichsten Bereichen. Viele sind in den neuen Strukturen, die zumeist die übertragenen der alten Bundesrepublik sind, angekommen.

Die Zeit des Übergangs, wo vieles machbar schien oder wirklich machbar war, ist endgültig vorbei. Politik funktioniert, mehr oder weniger schlecht, über Parteien, Gewerkschaften, Institutionen. Diese haben mittlerweile alle ihre für Gleichstellung und Emanzipation zuständigen Frauen. Und sie haben ziemlich festgefahrene Formen des Umgangs miteinander, ob nun in Richtung Konkurrenz oder Kooperation. Und dies erschwert es offenbar auch, den ehemals und zumeist auch heute noch Frauenbewegten, sich locker und quer zu den Strukturen zu „vernetzen“. Ein Wort, das ich vor neun Jahren noch nicht kannte. Dafür hat es damals funktioniert.

Sybill Klotz (39) war 1989 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Charité, heute ist sie Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Berliner Abgeordnetenhaus.

Samirah Kenawi:

Die Hoffnung, die Glashaus-Welt DDR verändern zu können, trieb uns 11 Frauen durch die Nächte, in denen wir an einem eigenen Standortpapier feilten. Als wir es am 23. 11. 89 in der Gethsemanekirche vorstellten, war die Mauer schon gefallen und der Boden unter unseren Füßen begann zu schwanken.

Doch nachdem dort die Idee entstanden war, einen Frauendachverband zu gründen, schien alles Weitere wie ein Sog. Am 3. 12. 89 noch rauschende Euphorie in der Volksbühne, aber die Hoffnung, mitzuregieren, zerstob schon vor dem Tag der Volkskammerwahl am 18. 3. 90. Bald hatte ich das Gefühl: Retten, was zu retten ist. Viel blieb ja

nicht. Und in der Tretmühle der Demokratie wurden meine Illusionen zu Lächerlichkeiten zermahlen.

Samirah Kenawi (37) war zur Zeit der Wende Sachverständige für Holzschutz. Heute ist sie Archivarin bei GrauZone, einer Dokumentationsstelle zur ostdeutschen Frauenbewegung.

Katrin Rohnstock:

Den 3. Dezember erinnere ich als den glücklichsten Moment meiner Frauenbewegungszeit. Er war eine Explosion aus Lebensfreude, ein Aufstand der Ideen. Alles, was danach kam, war vergleichsweise fade. Gekommen waren Frauen aus unterschiedlichsten Milieus und Generationen. Gekommen waren die eigenwilligsten, engagiertesten. Alle eigentlich Führernaturen, konkurrenz- und aufstiegsbewusst. Entsprechend waren die UFV-Sitzungen geprägt von Macht- und Grabenkämpfen, von kleinkarierten Streitereien und Verletztheiten, ohne Streit- und Konfliktkultur, ohne Kultur einer Gemeinschaft. Bezeichnend ist, dass es niemals eine von der Mehrheit akzeptierte Integrationsfigur gab. Oder anders, die Frauen ließen sich auf keine Frau ein.

Was all diese individuell ausgeprägten Weiber einen kurzen historischen Moment miteinander verband, war die Hoffnung auf einen Aufstieg. Die Akteurinnen waren eine Elite von jungen Frauen, die in der DDR ihre Karrierepotenziale nicht ausleben konnten. Fatal bleibt, dass es dem UFV nie gelang, die Sprache der „einfachen“ Frauen zu sprechen. So konnte er nicht populär werden. Vielleicht sind aber auch Organisationsstrukturen nur für Frauen eine historisch überholte Angelegenheit.

Katrin Rohnstock (39) leitete 1989 als Germanistin ein Frauenzentrum, heute ist sie Inhaberin des Katrin Rohnstock Medienbüros in Berlin.

Anne Ulrich:

Meines Erachtens bot der UFV nach der Phase der runden Tische und neben der Parteibildung Bündnis 90/Grüne die Möglichkeit, als überregionale Single-Issue-Initiative und Lobby frauenpolitische Themen öffentlich zu machen und Diskussionsforen zur Verfügung zu stellen. Aus zwei Gründen ging das schließlich nicht auf. Erstens: Der UFV war wesentlicher Teil des Stamms, aus dem die unterschiedlichsten frauenpolitischen Initiativen erwuchsen. Diese Pluralität konnte nicht reintegriert werden. Der Verein konnte sich aber auch nicht durchringen, sich von der Wende-Euphorie zu verabschieden und sich auf konkrete Ziele zu reduzieren. Zweitens: Wir haben den Sprung ins gesamtdeutsche Gefüge nicht geschafft. Der chancenreiche Zeitpunkt war der um den FrauenStreikTag 1994 – nicht, weil die Basis getobt hätte vor Aktivitäten, sondern weil konkrete Verabredungen zwischen engagierten starken Frauen aus Ost und West in Aussicht standen. Die kamen nicht zum konstruktiven Ende, weil wichtige Frauen die Gründung einer zigsten Frauenpartei vorzogen, statt eine kleine, aber womöglich hörbare feministische Lobby zu schaffen.

Anne Ulrich (38) war zu Wendezeiten Politologin an der FU Berlin und promovierte 97 über den UFV. Heute ist sie Mitarbeiterin in der Heinrich-Böll-Stiftung.

Ulrike Bagger:

Ende November 89 las ich in der Berliner Zeitung, dass in der Volksbühne ein großes Frauentreffen stattfinden soll. Au ja, dachte ich, Frauentreffen ist gut, da gehe ich mal hin. Ich weiß noch, wie überwältigt ich war beim Anblick der vielen Frauen und Kinder und wie sehr mich die Atmosphäre begeisterte. Da war jede Menge von dem, was frau heute als „positive Energien“ bezeichnet, jede Menge Lust am Leben und Optimismus, Veränderungswille und Wissen. Da fanden andere endlich die treffenden Worte für meine Gefühle und Konflikte im Leben als Frau in der DDR. Ich begriff, dass es nicht nur individuelles Versagen war, wenn die mir zugeschriebene Rolle der perfekten Werktätigen, Hausfrau, Mutter und Geliebten mich nicht selten schier zur Verzweiflung brachte. Ich glaubte, mich von traditionellen Rollenzwängen verabschieden zu können und ein neues Leben zu erhalten. Ich tappte in alte Fallen und Muster – aber ich erkannte sie. Ich habe noch nie vorher und bis heute nicht noch mal so viel gelernt wie in meinen sechs UFV-Jahren. Aus heutiger Sicht war die Arbeit im und mit dem UFV für mich auch ein langes Abschiednehmen von Hoffnungen und Illusionen und einem Leben in der DDR.

Ulrike Bagger (39) arbeitete 1989 als Bibliothekarin, 1990 im UFV-Büro Berlin. Heute studiert sie Sozialwissenschaften.