Besuch im Warburg-Haus: In guter Nachbarschaft

Das Hamburger Warburg-Haus ist heute ein Forum für Kunst- und Kulturwissenschaften. Hier befand sich die Bibliothek von Aby Warburg.

In einem Raum stehen in einem Halbrund hölzerne Regale voller Bücher. Davor stehen ein Tisch und Stühle, an der Decke ist ein rundes Overlicht

Schon architektonisch ein Ort des freien Forschens: Lesesaal des Warburg-Hauses Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Auf den ersten Blick von außen sticht es zwischen den gepflegten Stadtvillen aus den 1900er- bis 1920er-Jahren kaum heraus, das Haus mit der roten Backsteinfassade am Alsterufer in der Heilwigstraße 116 in Hamburg-Eppendorf. Die drei Buchstaben K, B und W ragen aus dem Mauerwerk über dem Eingang, neben der Tür zwei imposante metallene Laternen.

Eher würde man hier ein Bankhaus vermuten als den einstigen Sitz der Bibliothek des Kulturwissenschaftlers Aby M. Warburg. Und der wurde ja tatsächlich am 13. Juni 1866 als ältestes von sieben Kindern des Bankiers Moritz Warburg und seiner Frau Charlotte in Hamburg in ein wohlhabendes, konservatives jüdisches Elternhaus geboren.

Aber schon als 13-Jähriger, heißt es, soll Aby Warburg seinen Erstgeborenenstatus ausgeschlagen und seiner Familie abgerungen haben, ihm stattdessen ein Forscherleben zu finanzieren. Er steckte das Geld in Reisen und kostspielige Bücher und sammelte eine beeindruckende Bibliothek zusammen, die heute weltberühmte „Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg“, die „K.B.W.“, rund 60.000 Bände, die sich vor allem der Erforschung des Nachlebens der Antike widmeten.

Die befinden sich schon lange nicht mehr hier: Im Dezember 1933, vier Jahre nach Aby Warburgs Tod, wurde sie nach London verschifft, um sie dem Zugriff der Nationalsozialisten zu entziehen. In Hamburg blieben damals Archivmaterial von 1.500 Büchern, Broschüren und Zeitschriften und viele Zeitungsausschnitte zurück. Das Material gilt heute als verschollen.

Die Ellipse war für Warburg zentral

Nebenan, im Haus mit der Nummer 114, lebte Warburg mit seiner Familie seit 1909 und hatte dort neben improvisierten Vortragssälen und Büros auch seine Bibliothek untergebracht. Die war Anfang der 1920er längst eine etablierte Institution und eng wurde es auch, also ließ Warburg auf dem Grundstück nebenan, das er bereits gekauft hatte, einen Neubau errichten, um ihr die richtige Präsenz zu geben. Am 1. Mai 1926 weihte Ernst Cassirer, damals Philosophieprofessor an der Uni Hamburg, die nun öffentliche Bibliothek ein.

Architekt des Hauses war Gerhard Langmaack, den Oberbaudirektor Fritz Schumacher Warburg empfohlen hatte. Hinter der roten Backsteinfassade liegt ein rational durchgegliederter Baukörper: Zur Straße hin ein dreigeschossiger Bürotrakt, ein viergeschossiger Bücherturm dahinter, und zur Alster hin, bis in den Garten hinein, ein ellipsoider Lese- und Vortragssaal.

Die Ellipse war Warburg als Formelement zentral: Das elliptische Oberlicht soll die kosmologische Freiheitsidee der Renaissance im Bewusstsein halten, erfährt man auf der Internetseite des Warburg-Hauses, ein Symbol für wissenschaftliche Freiheit.

Und es steht für eine Welt, die sich zwischen vielen entgegengesetzten Polen aufspannt: Mythos und Logik, Magie und Mathematik, konkreter Körper und ab­straktes Zeichen, manische Bewegung und melancholische Hemmung – Warburg litt, so sagt man es heute, an einer bipolaren Störung.

Heute beherbergt es verschiedene Archive

Ungewöhnlich war auch die Sortierung der Bücher: In seiner Bibliothek in guter Nachbarschaft hielt sich Warburg an das Prinzip guter Nachbarschaft: Nicht streng alphabetisch oder nach Fachgebieten waren die Bücher sortiert, sondern nach vier Rubriken: „Orientierung“, „Bild“, „Wort“ und „Handlung“.

Lange Jahre residierten hier nach Warburg Unternehmen, die Neue Deutsche Wochenschau Gesellschaft drehte hier die erste „Tagesschau“-Sendung. Seit 1983 steht das Haus unter Denkmalschutz, 1993 kaufte die Stadt das Gebäude und ließ es denkmalgerecht renovieren.

Heute ist das Warburg-Haus eine Einrichtung der Aby-Warburg-Stiftung und der Uni Hamburg. Es beherbergt verschiedene Archive, darunter das Warburg-Archiv, das sich der Forscherpersönlichkeit Warburgs widmet, und das Archiv für verfolgte Kunst in Hamburg.

Und geforscht und diskutiert wird auch wieder, ganz im Sinne Warburgs: Das Haus wird als interdisziplinäres Forum für Kunst- und Kulturwissenschaften genutzt. Am Mittwoch dieser Woche etwa zeigt das Institut für die Geschichte der deutschen Juden den ersten Dokumentarfilm über den jüdischen Maler Moritz Daniel Oppenheim. Kommende Woche laden das Zentrum Gender & Diversity und das Hamburg Institute for Advanced Study zum Kolloquium über aktuelle Forschungsansätze zum Thema „affektive Männlichkeiten“.

Infos: http://www.warburg-haus.de

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