Besuch bei der "Super Illu": Wo die DDR noch ganz bei sich ist

Die "SUPER illu" ist so alt wie die deutsche Einheit und erreicht im Osten mehr Leserinnen als "Spiegel", "Stern" und "Focus" zusammen. Ein Redaktionsbesuch.

Ein Ort, der Blätter jeglichen Genres gleichmütig vereint: der Kiosk. Bild: dpa

"Zusammen sind wir SUPER" steht auf den Schildern, die Zuschauer bei der Verleihung der Goldenen Henne am vorletzten Mittwoch begeistert schwenkten. "SUPER", in Weiß auf roten Versalien, wie auf dem Cover der SUPER illu, die die Glucke aus Edelmetall zusammen mit dem MDR seit 13 Jahren an vorzugsweise Ostdeutsche aus Politik, Sport, Kultur und Medien vergibt: Selbstbewusst, laut und präsent will man sich zeigen. Denn wenn man aus dem Osten kommt, der Zone, der ehemaligen DDR, gehört das Aufpäppeln des Selbstwertgefühls anscheinend zum Alltag.

Illu-Chefredakteur Jochen Wolff freut sich über das Zehnjährige, 2000. Bild: dpa

Einen großen Teil davon besorgt die SUPER illu. Die wöchentlich im Hubert-Burda-Verlag erscheinende Illustrierte schafft im Osten Deutschlands, wovon andere, im Westen immens erfolgreiche Zeitungen nur träumen: Einen Marktanteil von rund 20 Prozent und damit mehr Leser als Spiegel, Focus und Stern zusammen. "Wer im Osten punkten will, kommt an SUPER illu nicht vorbei", tönt das Blatt, das genauso alt wie die Einheit ist, auf seiner Homepage. "Wir werden in jedem zweiten ostdeutschen Wohnzimmer gelesen", behauptet Jochen Wolff, seit sechszehneinhalb Jahren - also fast seit der Gründung - sein Chefredakteur, mit unverkennbar bayerischem Zungenschlag. Der 58-Jährige aus Furth im Wald in der Nähe von Regensburg leitete vor 17 Jahren in Düsseldorf eine Frauenzeitung für den Burda-Verlag, da fiel die Mauer, die Wende kam, und die großen westdeutschen Verlage witterten Morgenluft aus dem Osten.

Doch nur die SUPER illu konnte sich halten, "es gab Versuche von Gruner + Jahr, von Bauer", erzählt Wolff, "aber die sind nicht gegen uns angekommen. Denn wir nehmen die Leser ernst, wir lieben sie! Wir wollen die Ostdeutschen auf dem Weg in die Einheit abholen!" Er redet wie ein Wasserfall, man braucht gar nicht nachzufragen. Das für einen Chefredakteur ungewöhnlich lange Arbeitsverhältnis und die sich nur im Schneckentempo ändernde deutsch-deutsche Situation machen es ihm leicht. Zu Anfang der SUPER illu lag ihr Schwerpunkt auf Stasi-Geschichten, auf den Umgang mit dem Neuen, den Konsumgütern aus dem Westen, dem Opel statt des Trabbis. Dann kam die Zeit der typischen Einheitsverliererprobleme, Treuhand, Mietsteigerungen. Und danach eine Phase, in der man sich wieder auf die alten Werte zurückbesann, die Ostalgie als Verkaufsschlager entdeckte. In dieser Phase steckt die SUPER illu zum Teil noch immer. "Zielgruppenorientierter Journalismus" ist Wolffs Stichwort, "du kannst nicht ganz Deutschland erreichen, dafür ist es zu groß und zu unterschiedlich. Wir schreiben eben nicht für den Wiesbadener, sondern für den Cottbusser, wir wollen ihm helfen, sein Leben zu meistern." Zum Beispiel mit Ratgeberthemen, einem Standbein der SUPER illu - "Zahlen wir zu viel Heizkosten?" oder der "Clever Einkaufen"-Service spielen auf die durch die hohe Arbeitslosigkeit und das magere bis stagnierende Wirtschaftswachstum bedingte Geldknappheit an. "Rein ökonomisch", sagt Wolff, und scheint die Tragweite dieser Einschätzung nicht wirklich zu bemerken, "kann man 45 Jahre Marktwirtschaft nicht mehr aufholen."

Im großen Rest der Zeitung wechseln sich Durchhalteparolen mit Humorigem und Happy Endings ab. Die Frau der "Boxlegende Ulli Wegner" hat sich nach 55 Jahren endlich einen Bleistift aus dem Kopf operieren lassen, "Fernsehliebling Gunther Emmerlich" verliert dank seiner Frau nach schwerer Krankheit nicht den Mut, genauso wenig wie die echte Frau vom Checkpoint Charlie. Und die diesjährige Goldene-Henne-Moderatorin Andrea Kiewel schindet in einer regelmäßigen Kolumne in ihrer fröhlich-harmlosen Art jede Menge sinnfreie Worte zu Themen wie "Unerzogene Kinder" oder "Was so alles vererbt werden kann".

"Wir sind das Therapeutikum, das den Menschen bei der Stange gehalten hat", echauffiert sich Wolff bei der Frage nach der dünn gesäten Kritik und dem streng in Richtung Osten eingeschränkten Blickfeld. "Wir sind die Einzigen, die positiv berichten, was in den neuen Ländern passiert, über die Erfolge der Menschen - wenn Sie sich die Westmedien angucken, die berichten zu 90 Prozent negativ - ja, bin ich denn als Journalist geisteskrank, dass ich nur das Negative erzähle?"

Sein Schnauzbart bebt. Er hat das alles schon so oft erklärt. Und überhaupt, wenn das Konzept doch so gut funktioniert?! "Der Stern", pocht er noch mal darauf, während hinter ihm im gläsernen Büro ein persönlich signiertes Roman-Herzog-Foto schweigt, "hat einen Überhang in Norddeutschland, die Bunte in Süddeutschland, das passt auch, dieses Hedonistische, die Partyberichterstattung. Eine Zeitung für alle wäre die eierlegende Wollmilchsau, die gibts eben nicht." Und wenn es eine gäbe, hätte man Probleme.

Dass man vor allem in den Privatleben von ostdeutschen Prominenten wühlt, liege daran, dass die sonst nirgendwo auftauchten: "Die westdeutschen Promis sind im Osten natürlich genauso bekannt, umgekehrt aber nicht", sagt Wolff.

Wenige Ausnahmen gibt es: Die für ihren zurückhaltenden Umgang mit den Medien geschätzte ZDF-Polittalk-Moderatorin Maybrit Illner plauschte jüngst mit der SUPER illu über ihren Werdegang "vom DDR-Kind zum ZDF-Star" und ist damit ein Prototyp des vom Chefredakteur postulierten Positive-Thinking-Mottos: "Wir machen den Menschen Mut, wir glauben, dass Erfolg stimulieren und anstecken kann!"

Obwohl Wolff ein professioneller Medienmensch ist, rutscht der Sermon gefährlich in Richtung Motivationskurs: "Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, der Pharmaindustrie noch mehr depressive Kunden zuzutreiben. Mein Auftrag ist es, die Wirklichkeit widerzuspiegeln, und die meisten Journalisten lassen das Positive weg und haben nur einen eingeschränkten, kaputten Blick auf das Leben. Das ist meine Überzeugung."

Die Verbindung zu seiner Frau, einer Ostberlinerin, die 1986 ausreiste, habe seinen Blick für "die Zerrissenheit" vieler ostdeutscher Biografien geschult - eine mögliche Erklärung für die oft indifferente und kaum erkennbare politische Aussage der Zeitung, man schreibe eben für die "zerrissene" SUPER illu-Leserschaft - "vom unverbesserlichen SED-Anhänger bis zum absoluten Hasser des DDR-Regimes, der nach einer versuchten Flucht im Knast gelandet ist." Und die will man natürlich beide nicht als Leser verlieren - um die drei Millionen Menschen inklusive Zweit-, Dritt- und Viertleserinnen und -leser ließen sich wöchentlich über die Schönheiten der Altmark oder die Wahrheit über den Schießbefehl an der Berliner Mauer aufklären, behauptet Wolff.

Stumpfe, stammtischorientierte Meinungsmache in Axel-Springer-Manier, in dessen großräumig-glasigem Gebäudekomplex im alten Berliner Zeitungsviertel nahe des ehemaligen Mauerstreifens die Redaktionsräume untergebracht sind, liegt der SUPER illu also eher fern - stattdessen schlägt man sich vorsichtig auf die Brust und übt sich in guten Neuigkeiten: Glücklich endende Schicksale, Promigewitter, Service, Witze, Fernsehtipps, Rezepte - hier sind sie endlich, die blühenden Landschaften.

Eigentlich unterscheidet sich die SUPER illu nur durch die Auflage von den üblichen anderen Wochenblättern auf dünnem Papier, den Ärztewartezimmerzeitungen der Regenbogenpresse mit Namen wie Das goldene Blatt, Bild der Frau, Die Aktuelle oder Frau aktuell.

Der Osten, so könnte man angesichts dieser Lektüre denken, ist eine ältere Dame, die sich gern in den Erlebnissen der Menschen aus der Umgebung verliert. Und die keine Lust auf schlechte Nachrichten hat. Weil ihr Leben eh schon hart genug ist.

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