piwik no script img

Besuch bei Künstler Ben WaginEinfach bei Ben klingeln

Der Künstler und Baumpate Ben Wagin präsentiert eine neue Ausstellung – in den Räumen seines Wohnhauses.

Ben Wagin stellt aus Foto: dpa

Solange Ben Wagin lebt und sauer ist, ist die Welt noch nicht verloren. „Der hat hier seinen Lebensraum gehabt“, sagt der 90-jährige Aktionskünstler über einen knorrigen Baumstrunk, der vor seiner Wohnung in der Joseph-Haydn-Straße aufgestellt ist, und zeigt hinüber zum S-Bahnhof Tiergarten. „Gefällt haben sie den am selben Tag, an dem sie mir auch die beiden Schwarzkiefern vor der Nationalgalerie gekillt haben!“, schimpft der kleine Mann in Arbeiterkluft, unter dessen Mütze weißes Haar hervorquillt.

Ben Wagin, einst stadtbekannter Westberliner Galerist, heute vor allem bekannt als „Baumpate“ und Schöpfer des „Parlaments der Bäume“ auf dem einstigen Mauerstreifen am Bundestag, flucht immer noch darüber: Vor ein paar Jahren hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Zusammenhang mit der Sanierung der Nationalgalerie am Kulturforum zwei Bäume gefällt, die er, Wagin, vor vielen Jahren dort gepflanzt hatte. Ohne ihn auch nur darüber zu informieren. Die Stiftung hat nachträglich eine Wiedergutmachung versprochen, noch ist nichts passiert.

An diesem Vormittag Ende November geht es aber nur am Rande darum: Ben Wagin und die deutsch-rumänische Künstlerin Alina Cowan, mit der zusammen er seit einigen Jahren arbeitet, haben zur Besichtigung einer „Ausstellung in den Räumen der ehemaligen Galerie S“ eingeladen. Die Ausstellung kann allen Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen zum Trotz an den Adventssonntagen ganz richtig besichtigt werden, coronakonform und „nach vorheriger Anmeldung“, wie es auf einem Handzettel heißt.

Wie und wo man sich anmelden soll, steht nicht dabei, aber bei Ben Wagin kann man zur Not einfach klingeln: Die Joseph-Haydn-Straße 1 ist seit 1957 seine Adresse, und auch wenn er die früheren Galerieräume im Sockelgeschoss des prachtvollen Gründerzeitbaus schon länger abgegeben hat, sind seine Wohnräume in der Beletage dasselbe organische Durcheinander aus Kunst und Leben wie seit Jahrzehnten.

Die Ausstellung – Fundstücke wie Türklinken oder Masken oder Handschuhe, von Wagin assoziativ kombiniert und mit bröseligen Oberflächen aus Naturmaterialien versehen, aber auch filigrane Stiftzeichnungen von Cowan – bespielt die Kellerräume und Lichthöfe des markanten Gebäudes mit dem dreieckigen Grundriss. Im Zentrum steht aber das einzigartige Treppenhaus mit den gusseisernen Stufen aus der Werkstatt von Gustave Eiffel.

Wir haben die Farbe unserer Haut verloren, wir sind Bleichgesichter geworden. Naturfremd und kulturgläubig

Hier hat Wagin Efeuranken aufgehängt, und von einem Treppenabsatz verliest er mit seiner leicht brüchigen Bassstimme ein Manifest, das er vor längerer Zeit verfasst hat – in seinem Kosmos gibt es eben keine Einmal-Kunst. „Wir haben die Farbe unserer Haut verloren, wir sind Bleichgesichter geworden. Naturfremd und kulturgläubig“, trägt er vor, und: „Könnten wir die Blätter im Wald lesen, brauchten wir keine Bücherregale.“ Am Ende gibt es, wie immer bei seinen Aktionen, wunderbar frischen Streuselkuchen.

Auch RBB-Reporter Uli Zelle ist da, um Wagin zu interviewen, er fühlt sich wohl ein bisschen auf den Schlips getreten, weil Wagin, der ihn nun doch schon seit Jahrzehnten kennt, ihn immer noch „Uli Zeller“ nennt. Zelle will dem Künstler die alten Geschichten entlocken, etwa, wie dieser das Haus an der Joseph-Haydn-Straße seinerzeit vor dem Abriss gerettet hat. Wagin erzählt zwar eigentlich gerne von früher, aber man merkt, dass ihm gerade die Frage nach dem Erhalt des „Parlaments der Bäume“ und des „Anhalter Gartens“, seinem ebenso wilden Ateliergelände hinter dem Technikmuseum, wichtiger ist.

Draußen vor der Tür wächst eine riesige, mehrköpfige Sonnenblume, die Wagin dort gepflanzt hat. Sie sieht nicht mehr taufrisch aus und ist doch immer noch lebendig – ein merkwürdiger Anblick, umgeben von lauter herbstlich-kahlen Bäumen. So ist es auch mit Ben Wagin, der zwar auch nicht jünger wird, aber trotzdem einfach weitermacht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!