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Bestandsaufnahme

■ Eine Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg

Die Nürnberger Ausstellung unter dem Titel Aufbruch in die Moderne zeigt vor allem dies: Moderne, das ist ein Prozeß, der irgendwo in der Tradition beginnt und aus ihr heraus und gegen sie Neues schuf — Inhalte und Formen gleichermaßen. Und wenn es denn schon wahr ist, daß der kulturelle Überbau den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen hinterherhinkt, dann vermittelt zumindest der rasche Wechsel der Stile seit der Jahrhundertwende, wie sehr Ästhetisches das Tempo der gesellschaftlichen Veränderungen widerspiegelt.

Die Ausstellung führt aber auch vor Augen, wieviel Patina das Neue angesetzt hat. Moderne, die einst als provozierend und revolutionär empfunden wurde, wirkt heute veraltet. Wegzudenken sind die von der Moderne evozierten neuen Sehweisen freilich nicht mehr. Sie haben sich als ästhetische Standards in unserem Bewußtsein festgesetzt.

Wenn demnächst der Erweiterungsbau des Germanischen Nationalmuseums fertiggestellt sein wird, der unter dem Namen „Kartäuserbau — Museumsforum“ firmiert, dann wird dort das 20. Jahrhundert Einzug halten. Denn bisher fehlten dafür die Räume, weshalb die Sammlungen weitgehend ins Depot verbannt waren. So lag denn jetzt eine Bestandsaufnahme nahe, um schon einmal einen Vorgeschmack auf die künftige Präsentation zu geben. Zu sehen bekam man, was aus der Zeit von 1890 bis 1933 gesammelt wurde.

Chronologisch reihen sich die Begriffe der Kunstgeschichte aneinander: Sezession, Impressionismus, Jugendstil, Expressionismus, Dada und Neue Sachlichkeit. Da ist Max Liebermanns Bild Kartoffelbuddler in den Dünen von Zandvoort oder der von Henry van de Velde für den damaligen „Kunstpapst“ Julius Meier- Graefe mit viel floralem Ornament entworfene Schreibtisch zu sehen. Das quasi biedermeierliche Gegenstück ist mit den sachlich-funktionalen Möbeln eines Peter Behrens zu besichtigen. Später wird das Bauhaus dann nur noch formstrenge Funktionalität gelten lassen, was Marcel Breuers zu Klassikern avancierte Sitzmöbel veranschaulichen. Gleichzeitig aber durfte es in deutschen Künstlerwohnstuben auch archaisch zugehen, wenn beispielsweise Ernst Ludwig Kirchner einen Spiegelrahmen entwarf, der die afrikanische Skulptur mit einbezog.

Erst jüngst erhielt das Museum als Leihgabe Erich Kuithans Gemälde Dreiklang (1912) — ein Beispiel malerischer „Seelenkultur“, wie sie die symbolistische Richtung des Jugendstils liebte. Auch Lovis Corinths spätes Werk Ostern am Walchensee kam erst 1987 nach Nürnberg. In seiner leuchtenden Expressivität ist es ein Beispiel dafür, „Natur mit den Augen zu begreifen“. Aber es sind auch Werke von Hannah Höch, George Grosz, Schiele, Belling, Kandinsky oder Käthe Kollwitz vertreten, um nur einige herauszugreifen. Ihre chronologische Präsentation verdeutlicht die fließenden Grenzen zwischen den Kunststilen.

In Nürnberg weiß man sehr wohl um die Lücken in der Sammlung. Was man allerdings bisher notgedrungen in den Depots verwahrte, ist respektabel zu nennen und als Grundstock für eine zu erweiternde Gesamtschau der Moderne jedenfalls opulent. Neben Gemälden und Skulpturen wurden Möbel bis hin zu Gebrauchsgegenständen aus Industrie und Kunsthandwerk zusammengetragen. Denn zu den erklärten Zielen des Museums gehört die Erforschung und Darstellung der „Kultur- und Lebenszustände“ anhand der Sachgüter.

Zu gern betrachten wir Kunst retrospektiv, ohne dabei zu erfassen, wie auf die Zeitgenossen das Neue wirkte. Und wir übersehen neben der Kunstsphäre (gerade auch mit erlesenen Designobjekten) den massenkulturellen Alltag unseres Jahrhunderts. Zu wünschen wäre ein Museum, das seine Objekte nicht bloß isoliert zeigte, sondern den Zeit- Blick zu rekonstruieren und mitzuinszenieren versuchte. Nora Eckert

Aufbruch in die Moderne. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, bis 24. Februar. Einen Katalog gibt es nicht.

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