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Besser 40.000 Autos täglich

■ Interview mit Norbert Willems, dem Inhaber von Willems-Wohnen, über die Geschäfte an der Martinistraße und die „Mitte“ Bremens an der Weser

taz: Wie sah das vor 26 Jahren hier aus? Warum sind Sie damals mit Ihrem Möbelgeschäft in die Martinistraße gegangen?

Norbert Willems: Der Erfolg, den wir am vorhergehenden Standort An der Weide hatten, machte eine Verlagerung erforderlich. 1968 entschieden wir uns für die großzügige Martinistraße. Diese Entscheidung haben wir bis heute nicht bereut. Hier haben meine Frau und ich zusammen mit unseren Mitarbeitern seither gearbeitet, und hier im Hause haben wir mit unseren Kindern auch gewohnt.

Wie sah diese Straße damals aus?

Es war nur 60 Prozent von dem da, was heute da ist, viele Baulücken, Niemandsland. Dennoch ist heute die Anonymität größer...

Heute ist die Martinistraße eine Schlucht...

Die Straße hatte damals mehr Charakter. Und obwohl die Martinistraße keine überhöhten Mietpreise hat, gibt es seit Jahren eine riesige Fluktuation. Die Mehrzahl der Geschäfte waren nicht lebensfähig. Außer uns besteht nur ein Jeans-Shop über längere Jahre. Man merkt sich die Unternehmen fast nicht. Das liegt an der Situation der Straße und ihrer Anerkennung.

Hat die Möbelbranche eine Perspektive in der Innenstadt?

Am Anfang der Diskussion über die Martinistraße hat es dogmatisch geheißen: Autos raus aus der Martinistraße. Das hätte bedeutet, ich bin hier mit meinem Unternehmen nicht lebensfähig. Wir haben eine Alternative vorbereitet, aber ich hoffe, daß die Politiker am Ende sachgerecht entscheiden.

Ich setze auf die Innenstadt. Unsere Art einzurichten beinhaltet zwar den Möbelkauf. Zur Atmosphäre und Charakteristik, die wir aus unserem Innenarchitektur-Berufsverständnis schaffen wollen, gehören Textilien, Teppiche, Tapeten, Licht, Kleinkunst, Bilder. Daraus ergeben sich kommerzielle und kulturelle Momente. Wir leben von einer kulturellen Einrichtungsaufgabe, das ist unsere Unternehmensphilosophie; die Wohnung ist die letzte, echte freie Insel, die dem Indididuum zugestanden wird, wo es leben kann, wie es wirklich möchte. Dafür investiert der einzelne Zeit – und Geld. Dieser anspruchsvolle Einrichtungsgedanke ist nicht auf der grünen Wiese realisierbar. Für alle Epochen war die Mitte bedeutsam für Kultur, für die Politik, für die gesellschaftlichen Strömungen. Und die Mitte ist die City.

Wie war denn das Verhältnis der Stadt zu dem Fluß hier?

In den vergangenen Jahrzehnten war die Weser hinter der Martinistraße für viele Bremer nicht vorhanden. Es gibt eine neue Strömung. Die City soll ihre natürliche Ausdehnung bis zur Weser vollziehen.

Das Stichwort des Leiters des Stadtplanungsamtes, die Martini-Straße sollte zum Ku'damm Bremen werden, gefällt Ihnen?

Ja. Nicht nur aus geschäftlichen Gründen. Für Bremen wäre das ein Ansatz, wieder mehr Bedeutung zu erlangen. Wenn hier ein Boulevard entsteht, dann finde ich das sehr positiv. Das wäre eine Großzügigkeit, die einer Hansestadt Bremen gut zu Gesicht stünde, das wäre ein angemessener Maßstab.

Was soll aus den 20.000 Autos werden, die hier täglich durchdonnern?

Man darf sich nicht mit den 20.000 zufrieden geben, das wäre kurzsichtig. Die Kaufkraftverluste von 30 Prozent der City sind dramatisch, aber das ist nur die halbe Wahrheit: Andere Städte haben in derselben Zeit 30 Prozent zugelegt. Wenn man überhaupt versuchen will, Bremen in kultureller wie in wirtschaftlicher Sicht zu optimieren, dann muß man zusätzlichen Verkehr holen. Die Verteufelung darf nicht sein, solange der Individualverkehr die größte Flexibilität und die größte Kostenvariabilität für den Einzelnen hat.

Also nicht 20.000, sondern 30.000 Autos täglich.

Man muß eher von 40.000 ausgehen.

Wohin damit?

Ich kann darauf keine fachlich schlüssige Antwort geben. Der Durchgangsverkehr muß hier im jetzigen Umfang nicht durch. Berufsverkehr ist vorhersehbar, deshalb berechenbar, und läßt sich anders organisieren. Was bleibt, sind die, die die Innenstadt per PKW erreichen wollen. Für Kultur und Kommerz muß das möglich gemacht werden...

... ohne Auto-Tunnel?

Auch ohne Tunnel. Die Argumente für den Tunnel überzeugen mich bislang nicht.

Was würden Sie mit Ihrem Geschäft machen, wenn Sie erführen: Hier ist drei Jahre lang eine Baugrube?

Es würde uns wahrscheinlich aufgezwungen, mit dem wesentlichen Teil des Unternehmens rauszugehen. Das überleben die meisten Geschäfte hier nicht.

In welchem Maße werden Geschäftsleute der Martinistraße einbezogen in die Debatten der Stadtplanung?

Bislang null. Dies fand bisher nicht statt, weder von der Kammer noch von den politischen Parteien. Ich begrüße deshalb die Einladung von Senator Fücks. Trotzdem empfinde ich, daß Anlieger in diesem Fall nicht wirklich ernsthafte Gesprächspartner für Behörden und Kammern sind. Auch in der erwähnten Veranstaltung driftete die Diskussion schnell ab auf die Ebene der ideologischen Gesamtkonzeption, für die unsere Martinistraße ein griffiges Beispiel ist und die Befürchtungen der Anlieger und deren Sachnähe in den Hintergrund treten. Herr Fücks ist sicher zufrieden: er hat aus den Reihen der Geschäftsleute zum Teil reservierte Beurteilungen zum Tunnel erhalten.

Bremen würde mehrere hundert Millionen da vergraben, hat Fücks gesagt.

Ich befürchte das auch. Eine Philharmonie in der Weser, das ist für mich eine Vision. Da könnte ich unvernünftig werden, weil das ein Zeichen für Bremen wäre. Aber nicht für einen Auto-Tunnel.

Fragen: K.W.

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