Beschäftigungsverhältnisse von Lehrern: Verbeamtung abschaffen!
Unser Autor wurde kurzerhand verbeamtet – und verzichtete anschließend. Seine These lautet: Der Status schadet den Lehrern.
Kurz vor meinem 40. Geburtstag wurde ich in Nordrhein-Westfalen „einfach so“ verbeamtet. Noch während ich die Glückwünsche annahm – schließlich hatte ich durch die Verbeamtung einen gefühlt hundertzehnprozentig sicheren Job und verdiente plötzlich auch mehr als zuvor als Angestellter –, erinnerte ich mich an folgendes Gespräch in einem Lehrerzimmer irgendwo in Westdeutschland: „Ich war jetzt zum zweiten Mal beim Amtsarzt. Und jetzt werde ich doch noch verbeamtet!“
„Verstehe ich nicht.“ – „Ich müsste abnehmen, hatte es beim ersten Mal geheißen. Mein Body-Mass-Index sei zu hoch. Wenn ich nach einem Jahr nicht deutlich abgenommen hätte, könnte man mich wohl nicht auf Lebenszeit verbeamten.“
„Na dann – Glückwunsch.“
Arne Ulbricht, inzwischen 41, unterrichtet an einem Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen Französisch und Geschichte. Er ist Autor des Buchs „Lehrer: Traumberuf oder Horrorjob? Ein Insiderbericht“ (Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 12,99 Euro).
Damals fing ich an, über das Thema Verbeamtung nachzudenken. Und ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, denn nach dem Referendariat habe ich jahrelang keine feste Stelle erhalten und mich in mehreren Bundesländern als Vertretungslehrer durchgekämpft. Das Thema Verbeamtung holte mich überall ein. (Auch in Berlin, obwohl in Berlin nicht verbeamtet wird. Dort bin ich, kaum hatte ich das Lehrerzimmer betreten, bestürmt worden, ob ich bei der Aktion „Verbeamtung jetzt“ mitmache.)
Body-Mass-Index als Kriterium
Lehrer werden übrigens verbeamtet – nicht allen Menschen ist das bekannt –, weil sie hoheitsrechtliche Aufgaben wahrnehmen. Schließlich entscheiden sie über die schulische Laufbahn von Heranwachsenden. Warum ist, wenn dem so sein sollte, ein akzeptabler Body-Mass-Index aber ein Kriterium, ob ein Lehrer verbeamtet wird oder nicht? Die offizielle Antwort lautet: weil dicke Menschen krankheitsanfälliger sind und eventuell früher pensioniert werden müssen. Aber leisten müssen sie als angestellte Lehrer trotz niedrigeren Verdienstes dasselbe wie ihre verbeamteten Kollegen.
Bei allem Respekt meinen Dienstherren gegenüber: Das ist nichts weniger als ein Angriff auf die Würde des Menschen, die der Staat eigentlich schützen sollte. Es handelt sich genau genommen um eine Diskriminierung, die auch deshalb grotesk ist, weil der „dicke“ Lehrer dicke Kinder vor Mobbing schützen soll. Die hehren Prinzipien der Bestenauslese, die bei der Verbeamtung gelten sollten, werden durch diese Regelung schlicht ad absurdum geführt. Körpergewicht (und auch Alter – es gibt ja eine Verbeamtungsdeadline) sind wesentlich entscheidender als fachliche Kompetenz. Das ist eine Wahrheit, die so bitter ist, dass sie niemand hören möchte.
Dabei kennen die meisten Lehrer Kollegen, die aus den genannten Gründen nicht verbeamtet worden sind. Ich kenne sowohl Kollegen, die – siehe das eingangs beschriebene Beispiel – ein demütigendes „Abspeckjahr“ in Kauf genommen haben, als auch Kollegen, die gar nicht verbeamtet worden sind, weil sie ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hatten. Im Kollegium wird selten darüber gesprochen. Und wenn, dann laufen die Gespräche so ab wie oben beschrieben. (Meistens ist das Thema beiden Seiten peinlich.)
Fest steht: Wenn man sich trotzdem ohne Wenn und Aber verbeamten lässt, erkennt man diese Regelung stillschweigend an. Nur wenige Lehrer werden bestreiten, dass die Verbeamtung so, wie sie ist, unausgegoren ist. Entweder müssten alle Lehrer alters- und körpergewichtsunabhängig verbeamtet werden. Oder aber die angestellten Kollegen, die ja rein formal keine hoheitsrechtlichen Aufgaben wahrnehmen, müssten konsequenterweise von allen Bereichen, die mit der Vergabe von Noten zu tun haben, befreit werden.
Entmündigung des Pädagogen
Am sinnvollsten wäre es aber, die Verbeamtung ganz abzuschaffen. Langfristig würden wir Lehrer uns damit einen riesigen Gefallen tun, denn (abgesehen von den offensichtlichen Fehlern im System): Die Verbeamtung schadet den Lehrern.
Fast alle leisten hervorragende Arbeit. Dennoch werden sie entmündigt, indem man ihnen nicht zubilligt zu streiken. In diesem Jahr betrug die Gehaltserhöhung für verbeamtete Gymnasiallehrer in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel 0 Prozent. Das ist aufgrund der Inflation eine Gehaltskürzung und ein verheerendes Signal: Den Politikern scheint die Arbeit der verbeamteten Lehrer nichts wert zu sein. Wehren durften sich meine Kollegen, die in Stoßphasen sechzig Stunden arbeiten, aber nicht.
Ich werde den Eindruck nicht los, dass viele Bundesländer auch deshalb an der Verbeamtung festhalten, um den sehr mächtigen „Lehrerstand“ zu spalten. Man möge sich das Chaos vorstellen, gäbe es einen Generalstreik, wenn irgendein Erlass uns mal wieder Mehrarbeit aufzwingt. Aber der Staat muss sich nicht fürchten. Denn die Sehnsucht nach der Verbeamtung nimmt nicht ab.
Last but not least: Die Verbeamtung schadet den Lehrern auch deshalb, weil sie das hässliche Klischee vom faulen Lehrer nährt: „Lehrer müssen ja nichts tun – schließlich sind sie auf Lebenszeit verbeamtet.“ So denken, alle Lehrer wissen das, viele Nichtlehrer. Wenn man die Verbeamtung abschaffen würde, würde ein Teil der Lehrerklischees, unter denen viele Lehrer leiden, einfach verschwinden.
Aus den genannten Gründen habe ich meinen Beamtenstatus, kurz nachdem ich verbeamtet worden bin, in ein Angestelltenverhältnis umwandeln lassen.
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