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Die WahrheitKaiserliche Stippgrütze

Das ostwestfälische Minden ist die kulinarische Wiege der Menschheit. Zumindest was eine ganz besonders fettige und schmackhafte Spezialität angeht.

S eit ich wieder in der alten Heimat lebe, taucht manches wieder auf, vor allem sind es alte Freunde und lokale Spezereien. Kürzlich war ich zu einer endgültigen Wiedereingliederungsmaßnahme eingeladen: zum Männer-Frühstück. Acht Herren, die sich teils seit der ersten Klasse kennen. Freund Uli hatte gerufen, und ein Wort machte im Vorfeld flüsternd die Runde: Stippgrütze würde es geben! Den legendären Wurstebrei.

Sobald die Temperaturen fallen, ist es soweit: Die Ostwestfalen stürzen an den Herd, und bis ins Frühjahr ist „Stippgrüttentied“! Stippgrütze gibt es nicht überall, und wenn, hat sie oft andere Namen wie Knipp oder Calenberger Pfannenschlag.

Früher war es winters normal, am Morgen diese fettreichste aller Speisen zu frühstücken. Heute scheiden sich die Geister. Es gibt nur „Ja“ oder „Nein“, kein „je nachdem“ oder „kommt drauf an“. Man liebt sie, oder man hasst sie.

Bei meinen Eltern gab es Stippgrütze immer auf Graubrot von Schlomanns. Und es wurde dick aufgetragen, das Fett suppte durch, die Finger waren schmierig, die fettigen Tropfen rannen entlang der Mundwinkel und es war ganz wunderbar.

Uli hatte, seiner Frau zu gefallen, für uns in der frisch renovierten Küche nur gedeckt, heiß gemacht wurden die Pfannen auf dem Grill der Veranda. Wir nahmen Platz, nur Horst, gelernter Metzger, stürzte sofort mit dem Schaber an die Pfannen. Natürlich gab es als „Unterlage“ Graubrot von Schlomann.

Das legendäre Essen aus in Wurstbrühe gekochter Gerstengrütze, die mit Fleischresten oder Innereien angereichert wird, hat sogar seine eigene Webseite. Auf stippgruetze.de gibt es eine interaktive Landkarte Deutschlands. Beim Kreis Minden-Lübbecke steht: „Das Kern- und Mutterland der Stippgrütze. Die kulinarische Wiege der Menschheit sozusagen.“

In einer Kommentarspalte schreibt eine Heike: „Ich sterbe ohne Grütze.“ Und Brackweder formuliert final: „Wenn Dr. Oet­ker Stippgrütze gekannt hätte, hätte er seinen Wackelpeter bestimmt nicht ‚Götterspeise‘ genannt. Diese Bezeichnung gebührt nur dem Wurstebrei, dem König unter den Fleischpuddings!“

Die Macher der Seite nennen sich selber I.G.I.T.T., „Interessengemeinschaft indigener teutonischer Traditionsspeisen“. Ihre zentrale Forderung: „Weltweite Einführung der Stippgrütze als reguläres Grundnahrungsmittel.“

Unter „I.G.I.T.T. auf Tour“ berichten sie von einem Besuch im Mindener Land, bei „Oppa in sein Gaaten“, beenden ihren Reisebericht mit einem Besuch der Porta Westfalica und schreiben: „Herrliches Stippgrütze-land! Die beste Aussicht auf das Stippgrützeland hat man traditionell vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal aus.“

Und so fühlten wir uns bei Uli am Tisch: kaiserlich! Denn ich aß zum ersten Mal in meinem Leben Stippgrütze mit Messer und Gabel. Anschließend kippte Uli uns Schwatten in die Tassen, warmen Korn mit Kaffee. Wie gesagt, es war kaiserlich!

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Bernd Gieseking
Der Kabarettist und Autor Bernd Gieseking steht seit über zwanzig Jahren auf der Bühne. Er schreibt Kolumnen für die »Wahrheit«-Seite der »taz«, Kinderhörspiele für den WDR Hörfunk sowie Bücher – und die am liebsten über Finnland: »Finne Dich Selbst!« und »Das kuriose Finnland-Buch«, alle erschienen im Fischer Verlag. Wenn er nicht schreibt, dann tourt er mit seinen Kabarettprogrammen »Gefühlte Dreißig«, »Finne Dich Selbst!« sowie - jeweils in den Wintermonaten - mit seinem alljährlichen satirischen Jahresrückblick »Ab dafür!« durch die Republik.
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