Berliner Tagebuch: Sterben ohne Ende
■ Berlin vor der Befreiung: 8. April 1945
Foto: J. Chaldej/Voller Ernst
So wenig es Hubert je gelegen hat, Soldat zu sein, so unheimlich hat ihn der Tod vor Berlin erschreckt. Mit überlegener List war er den tausend Tücken des Kommisses Jahre hindurch entgangen. Man brauchte keine Sorge zu haben, daß er ihm erliegen würde wie tausend andere. Diesmal hat ihn das furchtbare Erlebnis endgültig gefaßt. Durch Volkssturmleute ohne Waffen und Fahnenjunker mit dem geistigen Training von Potsdam ist der vielfach überlegene Tod der Waffen ohne Gegenwehr wie ein Pflug zur Herbstzeit gefahren. Wiewohl niemand ihm wehren konnte – sie mußten stehen und mußten fallen. Die heute; die wenigen, die noch dahinter kommen, morgen, alle, alle, alle.
Er weiß, daß in diesem System kein Ende ist, bis alle die blutige Sense niedergemäht hat. Die grausige Vision des Untergangs eines Volkes ist ihm dort, ein paar Kilometer vor Berlin, gekommen. Matthias Menzel
Aus: „Die Stadt ohne Tod“, Carl Habel Verlagsbuchhandlung, Berlin 1946. Menzel ist das Pseudonym für Karl Beer (1909-1979). Beer war Redakteur der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“.
Recherche: Jürgen Karwelat
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