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Berliner SzenenWas meinen Sie mit „Osten“?

Auf der Bank, Teil 1: Man bleibt nicht lange allein auf einer Bank in der Sonne. Und man hört nicht nur Gutes.

Kleiner Trick: So wird man beim Lesen nicht gestört. Bild: dpa

P ause auf’m Nachhauseweg. Zeitunglesen am Südstern. Ich bin nur kurz alleine auf der Bank, dann setzt sich eine junge Frau links neben mich und telefoniert. Eine mittelalte Frau setzt sich rechts hin, sie wartet oder sitzt einfach so in der Sonne, zwei Einkaufstüten vor sich. Und dann noch ein Mann, in dem Alter, wo man sich vorm Hinsetzen die Hose über den Knien hochzupft. Wobei er vermutlich schon seit 30 Jahren in diesem Alter ist.

Jemand kommt vorbei und bettelt. „Man sieht jetzt überall Obdachlose“, sagt der Mann, „immer mehr. Jeden Tag sieht man die.“ „Die Leute werden faul“, sagt die Frau mit den Tüten, „die wollen nicht mehr arbeiten.“ „Früher war das nicht so“, sagt der Mann, „als die Alliierten da waren. Da gab es so was nicht.“

„Na ja“, sagt die Frau, „das sind alles Polen und Russen.“ „Und Chinesen“, sagt der Mann. „Nee!“ ruft sie, „Chinesen nicht.“ „Aber die Chinesen übernehmen die Wirtschaft, die haben ’ne richtige Mafia“, sagt er. „Ja, sollen sie doch“, sagt die Frau, „Hauptsache, das machen nicht die Polen und die Russen.“

Der Polin, die neben den beiden sitzt, fault fast das Ohr weg vom Zuhören. Ein Kind kommt aus dem Kiosk im U-Bahnhof, es hat Sticker in der Hand, rennt über den Platz zu seiner Mutter und ruft: „Mama, ich hab ’n Team! Iran, glaub ich.“ „Wo kommen Sie her?“, fragt der alte Mann die Frau mit den Tüten, „vom Dialekt her kommen Sie aus dem Osten.“

„Was meinen Sie?“, fragt die Frau. „Kommen Sie aus dem Osten?“, fragt der Mann. „Was meinen Sie mit ,Osten‘?“, fragt die Frau. Sie ist hörbar angepisst. „Ukraine? Bulgarien?“, fragt der Mann. „Ich komme aus Spanien“, sagt sie. „Spanien!“, ruft der Mann, „und was machen Sie hier in Berlin?“ „Ich lebe hier“, sagt die Frau. Dann klingelt ihr Handy, sie telefoniert auf Spanisch und geht weg. Der Mann dreht sich zu mir und sagt: „Ja, ja. Es geht alles den Bach runter.“

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Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff
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3 Kommentare

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  • Nichts auf der Welt bleibt länger heil, als ein gepflegtes Vorurteil.

  • Bin auch schon oft Ohrenzeuge solcher Gespräche geworden, hab da allerdings nicht so höflich reagiert, sondern bin ausgerastet und diesen spießbürgerlichen Herrschaften lautstark die Meinung gesagt!

  • Wo der Mann Recht hat hat er Recht. Es geht alles den Bach runter.