Berliner Szenen: Hände hoch
Die Autorin soll sich die Bronchien „rönchen“ lassen. Sie stört den Ablauf, zählt Handys und denkt an alte Schildkröten.
O kay, Keuchhusten ist es nicht, ich soll also zum Röntgen. Zum „Rönchen“, wie immer alle sagen, und ich checke nicht, warum sie das sagen. Ich soll mir jedenfalls die Bronchien rönchen lassen und sitze dafür an einem Montag im Wartezimmer der Röntgenpraxis, und das ist schon mal ein Erfolg, denn am Freitag war ich auch schon da und wurde wieder weggeschickt, weil es zu voll war.
Auf einem Schild an der Wand steht: „Wir bitten Sie, Ihr Handy abzuschalten. Sie stören unsere Abläufe.“ Ohne „sonst“ im zweiten Satz. Im Wartezimmer sitzen siebzehn Leute. Von meinem Platz sehe ich auf den ersten Blick acht Handys. Vielleicht sind die aber auch im Flugmodus und die Leute lesen alle „Faust II“ in der Kindle-App. Weiß man nicht. Die Frau neben mir liest eine Illustrierte. Der Artikel heißt „Scheidung für Fortgeschrittene“, auf dem Bild liegt eine Frau ganz in Rosa-Weiß auf einem Flokati, vor ihr ein sehr großer Hund.
„Frau Stokowski“, ruft die Sprechstundenhilfe, „einmal Raum zwei und obenrum frei.“ Die Frau, die mich röntgen soll, sagt: „Schwanger sindwa ja nich, ne?“ Sindwa nicht. Also ziemlich sicher beide nicht. Sie geht raus, macht eine Aufnahme von vorne, kommt wieder rein und sagt: „Und jetz ma: Hände hoch! Wie im Krimi. Aber heute bin ick gnädig und schieße nich.“ Ich finde das angesichts der Weltumstände nur halb witzig, nehme aber die Hände hoch und darf mich dann wieder anziehen.
„Und, sehen Sie was?“, frage ich. „Nää“, sagt sie, „das geht jetzt an Ihre Arztpraxis. Donnerstag können Sie da nachfragen, dann haben die das.“ Drei Tage. Für eine Entfernung von einem knappen Kilometer. Ich stelle mir auf dem Nachhauseweg vor, wie meine Bilder einer alten, gutmütigen Schildkröte auf den Panzer geschnallt werden, die dann gemütlich losläuft. Hoffentlich ist die nächsten Tage schönes Wetter und es wächst genug Salat am Wegrand.
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