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Ehrung der ersten Rabbinerin in BerlinEine Pionierin gegen das Vergessen

In Friedrichshain-Kreuzberg sind mit nur sieben Prozent die wenigsten Straßenschilder in Berlin nach Frauen benannt. Nun kommt eine Neue dazu.

Die erste Rabbinerin überhaupt: Regina Jonas Foto: CC BY-SA 4.0

In Berlin-Kreuzberg ist eine Straße nach einer Kleinstadt benannt, die es längst nicht mehr gibt: Kohlfurt. Zumindest heißt sie seit 1945 Węgliniec und liegt 20 Kilometer nordöstlich von Görlitz in der polnischen Oberlausitz. Diese unscheinbare Straße, die vom Wassertorplatz schräg an die Kottbuser Brücke führt, soll nun umbenannt werden. Nach dem Chaos in der Manteuffel-/Audre-Lorde-Straße geht es diesmal überraschenderweise sogar um die ganze Straße. Hurra!

Kohlfurt kennt ja eh niemand mehr, stattdessen soll die Straße bald den Namen einer jüdischen Pionierin tragen: Regina Jonas. Diese beantwortete die Frage ihrer Abschlussarbeit „Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?“ prompt mit „Ja“ und wurde 1935 zur ersten Rabbinerin Deutschlands und der Welt. Dabei handelte es sich um einen Kindheitstraum – schon in der jüdischen Mädchenschule war Jonas' für damalige Verhältnisse unrealistischer Berufswunsch Rabbinerin. In ihrer Abschlussarbeit kommt sie zu dem Fazit: „Außer Vorurteil und Ungewohntsein steht halachisch fast nichts dem Bekleiden des rabbinischen Amtes seitens der Frau entgegen.“

Jonas wuchs in einfachen Verhältnissen im Berliner Scheunenviertel auf. Sie studierte an der Hochschule für die Wissenschaften des Judentums und arbeitete nach dem Abschluss zunächst als Seelsorgerin und Religionslehrerin der jüdischen Gemeinde Berlin.

Obwohl sie ihr Amt als Rabbinerin erst ab 1937 ausführen durfte, trug sie schon vorher Talar und Barett, ihre Arbeitskleidung. Die Pionierin war unter anderem in der heutigen Fraenkelufer Synagoge in Kreuzberg tätig und engagierte sich in jüdischen Frauenorganisationen wie dem „Jüdischen Frauenbund“.

Unter dem NS-Terrorregime musste sie 1942 Zwangsarbeit in der Lichtenbergischen Industrie leisten. Kurz darauf wurde Jonas in das KZ Theresienstadt deportiert, wo sie trotz der menschenverachtenden Umstände weiterhin als Seelsorgerin tätig war. Im Oktober 1944 wurde sie in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert und nur wenige Wochen später ermordet. Regina Jonas wurde nur 42 Jahre alt.

Nur sieben Prozent Frauen

Unweit der kürzlich umbenannten Audre-Lorde-Straße soll bald eine weitere Straße nach einer Frau benannt werden: Regina Jonas

Mit der Umbenennung will der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ihren „Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit in geistlichen Ämtern würdigen“. Damit folgt der Bezirk seinem Entschluss von 2005, nach dem neue Straßen vorerst nur noch nach Frauen benannt werden sollen. Derzeit sind nur sieben Prozent der Straßen im Kiez nach Frauen benannt.

Die Berliner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hatte den Beschluss für die Namensänderung der Kohlfurter Straße bereits im Jahr 2021 getroffen. Bei einer Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung entschied sich 2022/23 die Mehrheit für die Umbenennung der Kohlfurter Straße. Im Dezember 2023 fällte die BVV dann die finale Entscheidung zu Gunsten der Regina-Jonas-Straße. Kaum verwunderlich zieht die Bürokratie den Prozess in die Länge. Ende September sollen dann aber endlich die neuen Schilder angebracht werden. Die An­woh­ne­r:in­nen sollen sogar schon diese Woche benachrichtigt werden.

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7 Kommentare

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  • Mehr Frauennamen, vor allem die, die kritische Emanzipation befördert haben, wären wichtig. Margaret Mead hätte auch eine Straße verdient, hat sie doch anthropologische Studien über die sozio-kulturelle Prägung von Gender Rollen schon in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts gemacht und damit allen Biologismen eine Absage erteilt. Heutzutage, wo die autoritären Patriarchen überall wieder durchregieren wollen, finden sich selbst onine Männer, die so tun. als wenn sie links und kritisch sind, dabei aber biologistische Erklärungen als totale Naturalisierung von Dualität als Norm in der Natur verbreiten, die reaktionär zu lesen sind. Dabei hatte schon Margaret Mead sie praktisch wiederlegt. Davon gibts mehr. Regien Jonas wäre auch gut.

  • "In Friedrichshain-Kreuzberg sind mit nur sieben Prozent die wenigsten Straßenschilder in Berlin nach Frauen benannt."

    Meinem Sprachverständnis nach werden üblicherweise Straßen benannt und nicht StraßenSCHILDER.

    • @Anna Tereschkowa:

      Ich wusste gar nicht, dass überhaupt Straßenschilder nach Frauen (oder Männern) benannt wurden, in der taz lernt man immer wieder dazu :-)



      Aber im Ernst, wieviele Straßen in Friedrichshain-Kreuzberg sind nach Frauen benannt, wieviele nach Männern, und wieviele nach Städten, Regionen, Flüssen, Bergen, Berufen etc...?

  • "Kohlfurt kennt ja eh niemand mehr"...

    ...was die Frage aufwirft, warum man Straßen überhaupt nach Menschen benennt. Bringt ja offenbar nicht viel. Ich persönlich fände es viel sinnvoller, Straßen wie den längsten Teil der Geschichte auch nach markanten Merkmalen der Straße selbst zu benennen. Das macht nachfolgenden Generationen die Geschichte des Ortes deutlich. Breite Straße, Unter den Linden, Bäckerstraße etc. sagen der Nachwelt letztlich mehr als irgendein Name, der aus einer Liste entnommen und einer Straße aufgedrückt wurde. Zumal, wenn der Ort mit der Person absolut nichts zu tun hat - bestes Beispiel ist die Greta-Garbo-Straße in Pankow, die nun wirklich nichts glamouröses an sich hat und in die sich vermutlich niemals irgendeine Schwedin verirrte.

    Warum also nicht mal Dönerbudenstraße, Falafelstraße, Spielhallenstraße oder Bioladenstraße?

    • @Suryo:

      Kohlfurt war kein einzelner Mensch, sondern ein Ortsname.



      Der Falafel- oder Bioladen zieht tendenziell eher weg als ein Ort seinen Namen ändert, statistisch betrachtet. Das macht die Sache eher noch flüchtiger.

      • @Tetra Mint:

        Auf der Reeperbahn werden ja auch schon ewig keine Taue (Reeps) mehr hergestellt. Aber der Name sagt uns, das es mal so war. Das ist ja das Schöne. Der Name sagt uns etwas über die Geschichte des Ortes.

        Aber was sagt es uns, dass in Pankow eine kurze Straße nach Greta Garbo benannt ist? In 200 Jahren wird man vielleicht noch nachschlagen können, wer Greta Garbo war, aber wozu braucht man dazu eine nach ihr benannte Straße?

        • @Suryo:

          Aha, danke für die Übersetzung. Ich wüsste jetzt auf die Schnelle nicht einmal, wo ich "Reeps" nachschlagen sollte. Soviel zu der Idee, dass eine Ortsbezeichnung unbedingt jedem etwas sagen muss. Zuallererst muss er halbwegs eindeutig und identifizierbar sein. Da funktionieren Personennamen allemal besser als beispielsweise die Parallelstraße, die es in Duisburg 3 Mal gibt, dank diverser Eingemeindungen.