piwik no script img

Berliner Schulleiter zu offenen Schulen„Normalbetrieb ist ein Rückschritt“

Statt die Schulen während der Pandemie für alle offen zu halten, sollte man zu halben Klassen wechseln, sagt Schulleiter Guido Landreh.

Das geht noch smarter: An vielen Schulen sind digitale Unterrichtskonzepte noch Mangelware Foto: Karsten Thielker
Anna Klöpper
Interview von Anna Klöpper

taz: Herr Landreh, welche Farbe zeigt die Corona-Ampel der Bildungsverwaltung bei Ihnen an der Schule gerade?

Guido Landreh: Die zeigt momentan noch Gelb.

Also Masken auf im Lehrerzimmer, ansonsten aber Normalbetrieb?

Genau. Aber das könnte sich bald ändern. Wir haben aktuell zwei Klassen in Quarantäne. Und es kommen immer häufiger Meldungen über Corona-Erkrankungen von Schülerinnen und Schülern, deren Eltern oder bei Kolleginnen und Kollegen und deren privatem Umfeld. Das war im Frühjahr nicht so.

Angesichts der Dynamik der Infektionen, die Sie gerade beschreiben: Klappt denn das System, dass die Schulen sich jeden Donnerstag mit der Schulaufsicht und dem Gesundheitsamt zusammenschalten? Der feste Wochenrhythmus klingt ja eher wenig dynamisch.

Im Moment klappt das noch gut. Und ich bin ja durch das Gesundheitsamt auch angehalten, als Schulleiter selbstständig Kontaktpersonen der Kategorie I zu informieren, sobald mir Fälle gemeldet werden, da muss ich nicht auf das Amt warten. Wo ich grundsätzlich ein Problem sehe: Der Stufenplan der Bildungsverwaltung, die Corona-Ampel für die Schulen, berücksichtigt den Arbeitsschutz nicht ausreichend.

Maske tragen reicht nicht?

Der Stufenplan reicht uns schon an anderer Stelle nicht. Wir hatten hier an der Schule bereits nach den Sommerferien ein Wechselmodell zwischen Lernen in der Schule und angeleitetem Lernen zu Hause umgesetzt. Da hat uns die Bildungsverwaltung aber Ende September aufgefordert, das zu unterlassen und uns an die Vorgaben zu halten.

Also erst mal zurück zum Normalbetrieb in Klassenstärke und ohne Abstandsregeln.

Ja, und das ist für uns ein Rückschritt. Wir sitzen hier in voller Klassenstärke, und die Schüler verstehen nicht, warum sie vormittags mit 30 Leuten in einem Raum sitzen und abends in der gleichen Kon­stellation keine Party machen sollen. Dabei hat unser System nach den Sommerferien sehr gut funk­tio­niert.

Wie sah das genau aus?

Indem die Jugendlichen einen halben Tag in der Schule waren und den anderen halben Tag im angeleiteten Lernen zu Hause, konnten wir den Stundenplan einer Woche vollumfänglich umsetzen – laut dem Stufenplan der Senatsver­waltung soll das lediglich innerhalb von 14 Tagen geschehen. Das hat uns übrigens selbst überrascht.

Dass die Jugendlichen etwas gelernt haben?

Dass sie erfolgreicher lernen. Lernrückstände waren überhaupt kein Thema. Und es gab eine hohe Akzeptanz sowohl bei den Eltern als auch bei den Schülerinnen und Schülern. Gerade diejenigen, die eher eine gewisse Schuldistanz hatten und bisher auf der Strecke blieben, was Hausaufgabenhilfe angeht, haben profitiert. Und da ist es schon misslich, wenn einem Konzepte untersagt werden, die fortschrittlich und innovativ sind. Da wächst der Unmut unter den Kolleginnen und Kollegen.

In vielen Schulen war die Erfahrung aus dem Frühjahr: Benachteiligte Jugendliche sind erst recht im Nachteil, wenn sie zu Hause lernen sollen. Deshalb ist ja auch die Politik unisono der Meinung, dass die Schulen offen bleiben müssen.

Es braucht eine sinnvolle Kommunikation. Wir haben zum Beispiel eine Schulcloud – einen Messengerdienst mit Kalender- und Cloudfunktion –, wo Wochenpläne bereitgestellt werden können. Die ist datenschutzkonform, nur Mitglieder der Schule haben Zugang. Und wir haben Videokonferenzen mit eingebunden. Plötzlich haben wir mit den Eltern übrigens auch eine ganz andere Kommunikation: Die erleben sich jetzt viel eher als kompetent und gefragt. Das Verhältnis entspannt sich an vielen Stellen, eben weil man mehr miteinander im Gespräch ist.

Sie erreichen auch Eltern, die Sie sonst nicht erreicht haben?

Nicht alle, aber mehr als vorher. Und was uns das Unterrichten in halber Klassenstärke noch mal gezeigt hat: Eine Klassengröße von 26 und mehr Kindern ist eigentlich zu groß für Kinder mit besonderem Förderbedarf. Wir haben ja hier in Berlin die Idee der inklusiven Schule – und eine Klasse, in der weniger als 15 Kinder sitzen, die schafft genau das: die Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf zu integrieren. Da geht keiner mehr verloren. Auch die Stillen, Ruhigen, Leisen sind plötzlich anders aktiv. Die Unterrichtsphasen sind einfach wesentlich effektiver gewesen in den zwei Monaten, in denen wir unser Konzept durchführen durften.

Klingt nach einem Modell, das über Corona hinaus attraktiv ist.

Richtig. Es ist zudem günstig aus einer Kosten-Nutzen-Per­spektive: Man braucht weniger Platz in den Schulen, die Raumfrage entschärft sich bei kleineren Gruppen. Und auch der Personalbedarf fällt günstiger aus: Eine Lernbegleitung zu Hause ist weniger zeitaufwendig als die Durchführung von zusätzlichen Unterrichtstunden. Allerdings gilt das, was ich sage, für die Sekundarstufe I. Auf jüngere Kinder in der Grundschule lässt sich das sicher nicht so übertragen. Und völlig kostenneutral wird es auch nicht sein.

Für das Lernen zu Hause braucht es in jedem Fall aber leistungsfähiges Internet und vernünftigere Endgeräte als ein Smartphone. Das haben nicht alle Jugendlichen.

Das stimmt, da muss es Mittel geben, und da hat das Land ja auch schon Geräte verteilt. Wobei die Tablets nur dann etwas bringen, wenn das auf die Medienkonzepte der Schule abgestimmt ist. Und natürlich muss auch die Didaktik Schritt halten: Die Lehrer müssen die Rolle als Lernbegleiter auch ausfüllen können. Sie müssen wissen: Wofür braucht man die Ressourcen der Gruppe, wann lasse ich die Schüler selbstständig arbeiten, und wie gestalte ich das.

Und da hat das Kollegium mitgezogen?

Ja, der überwiegende Teil der Lehrkräfte hat da sehr gut mitgezogen. Das ist der Vorteil von Krisen: Jetzt gibt es die Notwendigkeit, etwas anders zu machen.

Andere Frage: Wie klappt eigentlich das Lüften bei Ihnen?

Das klappt, wir kriegen die Fenster auf. Allerdings ist das nicht die Lösung für den Winter: In einem viergeschossigen Altbau lässt die Heizleistung nach oben hin dermaßen nach, dass wir die oberen Räume eigentlich bald nicht mehr nutzen können.

Die Bildungsverwaltung hat 1.200 Luftfiltergeräte für die Schulen in Aussicht gestellt.

Schauen wir mal. Wir warten jetzt erst mal noch auf die CO2-Messgeräte, die sind auch noch nicht da.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Schüler verstehen nicht, warum sie vormittags mit 30 Leuten in einem Raum sitzen und abends in der gleichen Kon­stellation keine Party machen sollen.



    Meine Frau (Erzieherin) und ich (Lehrer) denken ähnlich. Unter der Woche auf engsten Raum mit vielen Menschen und am Wochenende sollen wir uns nur mit maximal einem anderen Hausstand treffen. Lächerlich ...



    Das ist das momentane Hauptproblem bei den ganzen Pandemienmassnahmen, die passen vorne und hinten nicht mehr zusammen, keine Linie, keine Strategie.



    Meine Frau hat gestern gesagt, sie fühlt sich verheizt und ausgenutzt, nur damit unsere Regierung gut dasteht.