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Berliner ObdachlosenprotestGrundrecht auf Wohnen gefordert

Der selbstorganisierte Protest von Obdachlosen am Roten Rathaus, eine Mahnwache für jüngst Verstorbene, wirft Fragen nach deren Rechten auf.

Verletzt die Räumung eines Obdachlosencamps wie zuletzt in Mitte die Unverletzlichkeit des Privaten? Foto: taz video

Artikel 13 des Grundgesetzes sagt: Die Wohnung ist unverletzlich. Heißt: Die eigene Bleibe dient als räumlicher Schutz der Privatsphäre vor staatlichen Eingriffen. So weit, so gut. Einige Menschen genießen diesen Schutz allerdings nicht: Wohnungs- und Obdachlose. Denn etliche ihrer Camps wurden in Berlin zuletzt geräumt (taz berichtete), auch wenn sie eine der letzten Möglichkeiten einer Unterkunft für Menschen ohne Dach über dem Kopf sind. Notunterkünfte kommen für einige nicht in Frage, weil etwa Haustiere dort nicht unterkommen können.

„Es ist dramatisch, als Obdachloser sein Umfeld zu verlieren“, sagt Dietlind S., eine Obdachlose, die seit Mittwochabend am Roten Rathaus mit anderen Wohnungslosen eine Mahnwache für kürzlich verstorbene Obdachlose hält. Bis Freitag ist dazu ein kleiner Pavillon mit einer Bierbank, Musikboxen, Essen und Getränken auf dem Vorplatz aufgebaut. Das Eigentum der Obdachlosen ist daneben platziert. Drumherum wurden kleine weiße Kreuze aufgestellt: auf jedem eine Todesanzeige mit verschiedensten Ursachen – alle stehen in Zusammenhang mit Wohnungslosigkeit.

Bei der Demo am Mittwochabend erhält S. viel Aufmerksamkeit: Selbstorganisierter Protest von Obdachlosen ist nichts Gewöhnliches, meist sind sie damit beschäftigt, über die Runden zu kommen. Die Menschen um sie herum hören der 59-Jährigen gespannt zu. Auch die schneidende Kälte sensibilisiert zumindest ein bisschen für das Thema: Schon nach einer halben Stunde werden Beine und Finger taub. Unbegreiflich, wie Menschen das nächtelang durchstehen.

Mit Tränen in den Augen spricht S. über die drei Obdachlosen, die in diesem Winter schon verstorben sind – nur über einen sei in den Medien berichtet worden, und im Sommer seien sie dann ohnehin wieder vergessen. Für ihre Mahnwache habe sie unter anderem die Grünen, den Obdachlosenverein Unter Druck und die Linke gebeten, sagt S. Von Letzterer sei noch keine Reaktion gekommen. Für S. ist eines klar: Sie findet, das Recht auf Wohnen muss ins Grundgesetz aufgenommen werden.

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2 Kommentare

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  • Paragraph eins unseres Grundgesetzes besagt: Die Würde des Menschen ist Unantastbar!



    Dies beinhaltet eigentlich schon das Recht auf wohnen.



    Auf der Strasse wohnen ist Menschenunwürdig!



    Der Staat müsste demzufolge für nötigen Wohnraum sorgen. wenn der Markt das nicht schafft.



    Ob es so eine Klage schon Mal vor dem Bundesverfassungsgericht gegeben hat?

  • Bevor man spitzfindig auf die Suche geht, in welcher Form Grundrechte verletzt werden, wenn Obdachlosencamps geräumt werden, gilt es mal festzuhalten, dass Grundrechte verletzt werden, wenn Menschen aus ihren Wohnungen geräumt werden oder ihnen in Wohnungsnotlagen, wenn sie in ihren Wohnungen Gewalt ausgesetzt sind, nicht geholfen wird, und sie damit erst zu Obdachlosen gemacht werden. Der spitzfindige Bürger übernimmt dann gern den veröffentlichten Zynismus des Zählens von Kältetoten und lügt sich in die Tasche: „Sind doch nur Einzelfälle, lässt sich nicht vermeiden“, nachdem das eigene Immobilienportfolio sorgsam arrondiert wurde – schließlich übernimmt man Verantwortung und sorgt fürs eigene Alter vor.