Berliner Neonazi wegen Volksverhetzung vor Gericht: NPDler organisiert Migrantentreffen
Exparteichef Hähnel hatte 22 Politiker migrantischer Herkunft in Briefen zur "Heimreise" aufgefordert. Der Prozess wird rasch vertagt: Hähnels Anwalt beantragt, alle 22 als Zeugen zu laden.
Es ist nur ein kleiner, beengter Raum im Amtsgericht Tiergarten, in dem am Mittwoch gegen den früheren Berliner NPD-Chef Jörg Hähnel verhandelt wird. Auf den Zuhörerplätzen drängeln sich die Journalisten. Zum dritten Mal seit 2008 steht Hähnel vor Gericht. Anklage diesmal: Volksverhetzung.
Gelassen betritt der 35-Jährige den Saal - blaues Hemd, roter Ordner. Widerwillig gibt er Auskunft zu seiner Biografie: gelernter Gärtner, selbstständiger Mediengestalter, NPD-Abgeordneter in Lichtenberg. Die Staatsanwältin verliest die Anklage: Vor der Bundestagswahl im September 2009 soll Hähnel einen "Fünf-Punkte-Plan zur Ausländerrückführung" auf die NPD-Homepage gestellt und diesen an 22 Berliner Politiker mit Migrationshintergrund per Post verschickt haben - mit der "Bekanntmachung über die geordnete Durchführung der Heimreise". "Bitte kümmern Sie sich schon jetzt um Unterkunftsmöglichkeiten und Arbeit in Ihren Heimatländern", hieß es in dem Schreiben, das unter anderem an Ülker Radziwill (SPD), Özcan Mutlu (Grüne), Figen Izgin (Linke) und Nader Khalil (CDU) ging.
Mit der Aktion, so die Anklage, habe Hähnel diese deutschen Staatsangehörigen als minderwertig klassifiziert und zu Hass gegen Teile der Bevölkerung angestachelt. Die Empfänger hatten die Briefe als "persönliche Einschüchterung" bezeichnet.
Hähnel reagiert mit einer Erklärung. Er sei Politiker, dessen Maxime "das Wohl und Wehe meines Volkes, des deutschen Volkes, ist". Der Prozess sei eine Posse, da die Meinungsfreiheit hier "mit dem politischen Strafrecht verfolgt" werde. Er bitte darum, nicht mehr anwesend sein zu müssen.
Richter Alexander Meckies geht darauf nicht ein. Wohl aber auf die Forderung von Hähnels Anwalt Wolfram Nahrath, die 22 Politiker als Zeugen zu hören. Meckies plante, deren Aussagen nur zu verlesen. Nahrath aber "will doch mal sehen, ob sich wirklich alle beleidigt fühlen".
Der Richter vertagt den Prozess auf November, Hähnel grinst. Sollte der 35-Jährige allerdings verlieren, müsste er auch die nun deutlich steigenden Prozesskosten tragen. "Was ist die Freiheit wert?", kommentiert dies Nahrath, beliebter Anwalt der rechten Szene.
Zuletzt wurde Hähnel - von 2008 bis Februar 2010 NPD-Landeschef - zweimal verurteilt: Er hatte den Mord an Rosa Luxemburg als "entschlossene Tat" gebilligt und Parlamentskollegen als "Verbrecher" beleidigt. Hähnels "Fünf-Punkte-Plan" findet sich weiter auf der NPD-Homepage. Am Samstag wurde er auf der NPD-Kundgebung in Schöneweide verlesen.
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