Neonazis in Schöneweide: NPD ganz ohne Groove
250 Rechtsextreme kommen zum Rechtsrockkonzert in Schöneweide - und müssen stundenlang NPD-Reden lauschen. Gegendemonstranten blockieren Bahnhof.
Als um zwanzig vor vier endlich die erste Rechtsrockband die Bühne betritt, sind die Kameraden längst zermürbt. Mehr als drei Stunden lang haben zuvor NPD-Chefs auf dem abgeriegelten Buswendeplatz hinterm S-Bahnhof Schöneweide in Treptow-Köpenick gesprochen. Tanzen will jetzt keiner mehr der rund 250 Rechtsextremen, applaudiert wird nur mäßig. Die Kundgebung samt Konzert zur NPD-Kampagne "gegen Überfremdung" gerät am Samstag zur Stehparty.
Mit wehenden Fahnen hatte der Tag begonnen. Gut 250 Bürger versammeln sich bereits am Vormittag gegenüber dem Schöneweider Bahnhof zum demokratischen Gegenprotest. Rote SPD- und Ver.di-Fahnen flattern im Wind, genauso wie Wolfgang Thierses Haare. "Wir dürfen den Nazis nicht die Straße überlassen", sagt der SPD-Bundestagsvize. "Mit aller entschlossenen Friedfertigkeit." Am 1. Mai hatte sich Thierse noch den Nazis als Blockierer in den Weg gesetzt. "Diesmal eher nicht, muss gleich nach Mitte zur Anti-Atom-Demo." Dafür ist die BSR da. "Es ist wichtig, dass wir gemeinsam gegen Rechtsextremismus zusammenstehen", sagt ein Mann in orange Weste auf der Bühne. "Bei uns kommt niemand in den öffentlichen Dienst, der andere diskriminiert." Applaus.
3.000 Radler haben nach Veranstalterangaben am Samstag für bessere Bedingungen im Straßenverkehr demonstriert. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club hatte unter dem Motto "Grüne Welle für Radfahrer" zur 10. Kreisfahrt um das Stadtzentrum eingeladen.
2.000 Menschen haben am Samstag in Mitte mit einem "Marsch für das Leben" gegen Abtreibung demonstriert. Der Bundesverband Lebensrecht hatte dazu aufgerufen. 800 Gegendemonstranten beteiligten sich an Aktionen gegen den "Marsch".
100.000 Besucher kamen am Sonntag zum Weltkindertagsfest am Potsdamer Platz.
Oben auf dem Bahnsteig trifft derweil die Antifa mit 100 Leuten ein - und setzt sich zur Blockade erst mal hin. Nun müssen die Züge durchfahren, auch der mit 80 Neonazis hält nicht. Als der rechte Trupp mit einiger Verspätung auf dem Nachbargleis wieder einfährt, wird er mit "Antifascista"-Rufen begrüßt. Näher kommen sich Neonazis und Gegendemonstranten nicht.
Auf dem eingegitterten, grauen Buswendeplatz, zwischen Häuserrückwänden und Bahndamm, eröffnet Eckart Bräuniger kurz nach ein Uhr den Rednerreigen. Der NPD-Landesvize schimpft über "Asylbetrüger und Kameltreiber", wirft mit "erwiesenen Zahlen" um sich. Vor der Bühne verteilen sich locker Kinnbartträger und Jungnazis. Andere lümmeln in den Bushaltestellen oder stehen am "Johannisthaler Stübel" zum Kesselgulasch an. Der Asia-Imbiss gegenüber hat geschlossen.
Die Bürger ziehen derweil einmal um den Bahnhof, an einem Gitter zwei Straßenecken vor der NPD ist Schluss. 400 Gegendemonstranten sind es inzwischen. Auch einen FDP-Block gibt es. "Wir setzen uns für Freiheit und Toleranz ein", sagt JuLi-Landeschef David Issmer. Vom Ver.di-Truck tönt ein Redner: "Die Nazis stehen hinterm Bahnhof, wo sonst die Pissecke ist. Da gehören sie auch hin." Am Nachmittag löst sich die Gegendemo auf. "Wir haben unser Zeichen gesetzt", so Hans Erxleben vom Bündnis für Demokratie und Toleranz.
Auf der Bühne wirbt unterdessen die Lichtenberger NPD-Abgeordnete Manuela Tönhardt für einen "Fünfpunkteplan zur Ausländerrückführung". Wegen jenes "Plans" steht ihr Parteikollege Jörg Hähnel am Mittwoch wegen Volksverhetzung vor Gericht. Ein Polizeisprecher weiß davon nichts: Strafrechtlich relevante Inhalte habe es nicht gegeben. Dafür wurden bei drei Rechten Schlagstöcke beschlagnahmt. Auf der Gegenseite habe es zwei Festnahmen wegen Körperverletzung und Beleidigung gegeben. "Sonst alles friedlich."
Bei den auftretenden Neonazi-Bands Kahlschlag, Totalverlust und Exzess war die Polizei auf Nummer sicher gegangen: Sie mussten ihre Liedtexte zuvor einreichen, zwei Titel wurden untersagt. "Unser Kampf geht weiter gegen das System", grölt nun der Kahlschlag-Sänger. Um dann mitten im Titel zu unterbrechen. "Ich glaub, wir müssen noch mal stimmen."
NPD-Landeschef Uwe Meenen hatte zuvor noch das rechte Jungvolk umgarnt. "Wir brauchen eure Hilfe." Tatsächlich ist die NPD von Austritten geplagt. Für ihre Kundgebung hatte die NPD anfangs mit 500 Teilnehmern gerechnet, die Hälfte ist gekommen. Ohne die Hilfe der "Freien Kräfte" könne die NPD ihren Wahlkampf 2011 vergessen, ist der Verfassungsschutz überzeugt. "Sarrazin ist nur ein Durchlauferhitzer für uns", tönt nun Meenen. "Da können sich die Etablierten schon mal warm anziehen." Die Worte hallen über die abgesperrten leeren Straßen, gegen Häuserwände. An einem hängt meterhoch ein Banner: "Berlin gegen Nazis".
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