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Berliner Krisenschule im WandelBonnie und Clyde rocken eine Schule

Aus der Berliner Krisenschule Heinz Brandt ist ein Kandidat für Preise geworden. Eine engagierte Rektorin und ein BWLer setzen sich für die Hauptschule ein.

Ein Fall für die Pisa-Studie: Die Berliner Heinz-Brandt-Schule galt lange als verloren. Bild: ap

Wenn Ehemalige in der Heinz-Brandt-Oberschule Klassentreffen feiern, dann rufen sie entzückt aus: "Ditte is 'n Ding, hier hat sich ja nüscht verändert!" In der Tat sieht der rote Klinkerbau im Berliner Bezirk Weißensee fast so aus wie vor 50 Jahren. Außen - und leider auch innen. Als ein berühmter Professor die Schule jüngst begutachtete, empörte er sich: "Nicht zu glauben, wie ein Land seine Schulen so herunterkommen lassen kann!"

Schulleiterin Miriam Pech weiß in solchen Momenten nicht, ob sie weinen oder lachen soll. So alt und abgewirtschaftet das Gebäude sein mag - inzwischen wird mit Bundesmitteln saniert -, pädagogisch hat sich die Schule von Grund auf gewandelt. Galt die Heinz-Brandt-Hauptschule lange als verlorener Ort, so ist die Integrierte Sekundarschule Heinz Brandt heute ein Renner unter Eltern. Statt der üblichen knapp 30 Bewerbungen wollten zuletzt über hundert Kinder einen Platz. Und dass es so ist, hat auch damit zu tun, dass zwei Leute da sind, mit denen man Schule verändern kann: Miriam Pech und ein Herr namens Malte Gregorzewski. Ihre Geschichte hat etwas Märchenhaftes.

Gregorzewski ist nämlich gar kein Pädagoge. Er hatte, gesteht er kess, "vor zwei Jahren keine Ahnung von Schule, außer dass da irgendwas grundlegend schiefläuft." Damals, im Jahr 2009, hatte der heute 28-Jährige gerade mal sein Studium der Volkswirtschaftslehre abgeschlossen. Sein Ziel war es, sagt er, "nach dem Studium unbedingt im realen Leben was zu rocken". Bei einer Absolventenmesse traf er auf zwei Headhunter der Bildungsinitiative "Teach First Deutschland", die ihn fragten, ob er zwei Jahre an einer Brennpunktschule unterrichten würde.

Teach First ...

… wählt gerade den dritten Jahrgang von Uni-Absolventen aus, die als Lehrer in Brennpunktschulen gehen. Die Bewerber sind laut einer noch Studie des Bielefelder Professors Rainer Dollase "eine hoch ausgelesene und engagierte Stichprobe von jungen Menschen". Sie sind knapp 29 Jahre alt, sprechen mindestens zwei Sprachen, machen den Job nicht wegen des Geldes - und erleiden einen Schock, wenn sie auf Schulwirklichkeit treffen: "In einzelnen Gesprächen wurde deutlich, dass der Umgang mit Kindern aus sozialen Brennpunkten für die Fellows oft auch ein Kulturschock gewesen ist." Ein Fünftel sagt hinterher: "Ich werde auf keinen Fall Lehrer."

Gregorzewski fand das irgendwie seltsam, da er ja nicht Pädagogik, sondern Profitmachen studiert hatte. Aber er bewarb sich - und wurde genommen. Eigentlich sollte er an einer Hamburger Schule als sogenannter Fellow arbeiten. Vorher aber musste er ein Schnupper-Praktikum machen. Also sah Gregorzewski, der in Berlin lebt, im Stadtplan nach, welche Schule um die Ecke lag: die Heinz-Brandt-Schule.

Crashkurs für den Quereinsteiger

In Berlin kündigte sich zu dieser Zeit bereits an, dass eine große Schulreform bevorstehen könnte. Schule verändern, das wollen beinahe alle nach dem großen Pisadesaster, das in Berlin stets schlimmer ausfällt als im Rest der Republik. Aber so schlecht die Berliner Schule sein mag, Schulreformen mögen Hauptstädter nicht. Alles soll besser werden - aber, bitteschön, ohne dass sich was ändert.

"Wir wussten ungefähr, was an Schulreform kommen würde", sagt indes Miriam Pech, die Schulleiterin der Brandt-Schule. Sie und ihre Schule waren vorbereitet, sie nutzten ihre Chance.

"Es wird immer geredet, aber wer packt denn mal richtig an?", hatte Malte Gregorzewski auf dem Campus der FU Berlin gedacht, als ihn die Teach-First-Leute ansprachen. Wenige Wochen später traf er "auf eine Schulleiterin, die eine Vision hat". An Pechs Schule wurde damals schon individueller Unterricht in Lernbüros geübt und mit Logbüchern experimentiert.

Die Schnupperwoche von Gregorzewski an der Brandt-Schule war ein Crashkurs in Krisenschule. Der Frischling kam mit zur Schulpsychologie, zum Jugendamt und zu den Präventionsbeamten der Polizei. "Er hat sich sofort sehr positiv eingebracht", erinnert sich Pech. "Das gefiel uns." Drei Tage vergingen, dann bestellten Pech und ihre Konrektorin Daniela Strezinsky den Praktikanten zu sich in die Schulleitung. Der erschien, nervös auch, was er falsch gemacht haben könnte. "Wir haben uns entschlossen, ebenfalls bei Teach First mitzumachen", sagte Pech. "Aber wir nehmen nur teil, wenn Sie unser Teach-First-Fellow werden."

Das Programm Teach First

Teach First gibt es in Deutschland seit 2009. Die Idee, erfolgreiche Uni-Absolventen an Schulen im sozialen Krisenraum zu schicken, kommt aus den USA. Dort sind 3.000 Fellows im pädagogischen Einsatz. Eine solche Erfolgsgeschichte ist Teach First Deutschland noch nicht. Ein neue Studie bescheinigt ihr zwar, "dass die Fellows eine große Hilfe für Schulen sind" (siehe Kasten). Dennoch gibt's hierzulande nur 98 Fellows - und die Zahl stagniert. Tech First kann den Hilfslehrern bislang kein Geld an die Schulen mitgeben. Das heißt, sie müssen aus öffentlichen Töpfen bezahlt werden - worüber die Personalräte schimpfen. Aber die tun das sowieso. Bringen die Fellows ihr Gehalt mit - wird über Privatisierung gejammert. Wenn nicht, heißt es, die privaten Fellows hielten sich an der Staatskasse schadlos.

"Kleine Schulen können sich so ein Programm eigentlich nicht leisten", sagt Schulleiterin Miriam Pech. Dennoch wollte die dickköpfige Rektorin diesen Malte Gregorzewski an ihrer Schule haben. Die beiden wirken zusammen wie Bonnie und Clyde. Sie die große Schöne, er der Schelm mit Löchern in den Jeans. Nur dass die beiden nicht mit Pistolen schießen, sondern mit Offenheit und Fröhlichkeit. Gregorzewski traf auf eine Rektorin, die selbst jung Verantwortung übernommen hatte. Sie hatte bei dem inzwischen legendären Tanzprojekt "Rhythm is it!" von Royston Maldoom mitgemacht, einem britischen Choreografen und Tanztrainer. "Die Kollegen haben mir den Vogel gezeigt, als ich ihnen sagte, dass wir in der Berliner Philharmonie mit Hauptschülern zu Strawinsky tanzen werden", erinnert sie sich. 2000 kam Pech an die Brandtschule, schnell wurde sie stellvertretende Leiterin, 2008 Chefin.

Der Preis "starke Schule"

Gregorzewski entwickelte sich zum Wettbewerbsbeauftragten der Schule. Der Volkswirt stellte die Unterlagen für den Preis "Starke Schule" zusammen. "Die Leiterin hat mir den Generalschlüssel gegeben. Ich konnte mir in ihrem Büro raussuchen, was ich für die Bewerbung brauchte." Gregorzewskis Arbeit wurde ein Volltreffer. Die Brandt-Schule hat im März den Berliner Landeswettbewerb der Starken Schule gewonnen. Am 11. Mai steht sie nun unter den letzten 10 von 600 deutschen Schulen, die um den Bundessieg ringen. Es ist natürlich nicht so, dass der junge Volkswirt den Landessieger Brandt-Schule ganz allein gemacht hätte. Kooperationen mit Ausbildungsbetrieben und der lokalen Wirtschaft gab es schon, ehe Malte Gregorzeswki überhaupt wusste, was das überhaupt ist. Es ist das Werk einer Schule, die sich auf den Weg gemacht hat, also einer couragierten Leitung und eines engagierten Lehrerteams. Aber Gregorzewski hat das Flutlicht angestellt, dass man das starke Kollegium auch sehen kann.

"Das Bewerben hat alles Malte gemacht", sagt Schulleiterin Pech, "ich habe ihm vertraut, aber ich hätte wegen der Anforderungen der Schulstrukturreform auch gar keine Zeit gehabt." Man könnte es auch so sagen: Malte Gregorzewski hat die Schule gerockt.

Obwohl Miriam Pech sich auch anders ausdrücken kann, sagt sie es mit einer Formel: Eine gute Schule brauche kreative Leute wie die von Teach First Deutschland, um öffentliche Anerkennung und Aufmerksamkeit zu erringen. Das bringt einen Marketingschub und setzt eine Positivspirale bei der Schülerklientel in Gang. In kürzester Zeit ist so aus der Hauptschule eine echte Sekundarschule geworden - das heißt, sie hat wird nun auch von Kindern mit Gymnasialempfehlung angewählt.

Bevor der in Hamburg aufgewachsene Malte Gregorzewski vom Hilfslehrer zum Assistenten der Schulleitung aufstieg, hat er freilich auch die Härten des Lehrerlebens kennengelernt. "Ich war im ersten Jahr manchmal ziemlich fertig und bin früh ins Bett gefallen", erzählt er. Erstmals sieht man so etwas wie Nachdenklichkeit im Gesicht des Sonnyboys. Gregorzewski nahm sich - wie viele gute Lehrer - zu viel vor. Seine Mentorin vermutet, er sei mit einem hohen Anspruch bei den Schülern gestartet: "Das müssen die doch kapieren oder genauso begeistert sein wie ich von der Sache!" Aber so ist es nicht immer. Die Brandt-Schule hat eine komplizierte Schülerschaft, wie man das zu nennen pflegt: Das Einzugsgebiet einer Nordpankower Hauptschule ist nicht ausschließlich mit bildungsbeflissenen Jungbürgern gespickt.

Als der Erfolg bei Starke Schule bereits möglich schien, schrieb Gregorzewski gleich eine weitere Bewerbung: die für den Deutschen Schulpreis. Das war nun eine andere Liga. Die Starke Schule der Hertie-Stiftung trägt immer noch den Makel des ehemaligen Hauptschulpreises, den so sinistre Organisationen wie der Deutsche Lehrerverband miterfanden, um die sterbende Hauptschule künstlich zu beatmen. Der Preis hat sich dennoch gemacht, immerhin 15.000 Euro winken dem Bundessieger.

Die Krisenschule wird für den deutschen Schulpreis nominiert

Der Deutsche Schulpreis der Robert-Bosch-Stiftung aber ist die Krone. Dort finden sich Schulen wie die Dortmunder Grundschule Kleine Kielstraße, in die inzwischen finnische Delegationen zu Besuch kommen. Oder die 2010 ausgezeichnete Sophie-Scholl-Schule, eine Krankenhaus-Schule, die radikal individualisierten Unterricht kann. Und tatsächlich findet sich nun unter den 15 besten deutschen Schulen des Jahres 2010/11, die für den Schulpreis nominiert wurden, die Heinz-Brandt-Sekundarschule aus Berlin. Damit besteht potenziell die Möglichkeit, dass das Weißenseer Aschenputtel 100.000 Euro gewinnt. Aber selbst wenn das nicht geschieht: Bei der Preisvergabe am 10. Juni haben Bonnie Pech und Clyde Gregorzewski und die Schule schon gewonnen. Die Kameras des ZDF werden auch auf sie gerichtet sein - die gute Schule von Pankow.

Malte Gregorzewski wird dann längst wieder eine Bewerbung geschrieben haben. Für eine erfolgreiche deutsche Bank und das größte Logistikunternehmen der Welt - und für sich. "Ich werde sicher traurig sein, wenn ich meine Schule verlasse", sagt er leise. "Jede Geschichte hat einen Anfang und ein Ende."

Miriam Pech lächelt, wenn sie das hört: "Ich wünsche ihm, dass er mal Manager einer Schule wird. Am besten von meiner. Er könnte das."

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