Berliner Köpfe: Montagsinterview mit Imker Wolfgang Fleischbein: "Beim Sozialverhalten können die Menschen von den Bienen lernen"
Kurz vor dem Interviewtermin ist Wolfgang Fleischbein ein Bienenschwarm entflogen. Jetzt hängt eine Traube aus tausenden Tieren im Apfelbaum des Nachbarn und Fleischbein muss sie einfangen. Im weißen Overall, mit Imkerhut und einer Pfeife, aus der Kräuterrauch strömt, steigt er auf die Leiter, in der Hand eine Holzkiste. Ein Schütteln am Ast, und auf einmal summt die ganze Umgebung.
Der Imker: Die meiste Zeit seines Lebens ist der frühere Ingenieur Wolfgang Fleischbein nun schon Imker. Genauer: Hobby-Imker, darauf legt er Wert. 1937 in der Pfalz geboren, versuchte er sich nach einer Schnupperzeit als Schüler im Alter von 14 Jahren erstmals an der Bienenhaltung. Und blieb dabei. 1972 zog er nach Berlin. Seitdem sammeln seine Völker rund um den Tegeler Steinbergpark Nektar und Pollen.
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Der Honig: Fleischbein stellt drei Honigsorten her, in dieser zeitlichen Abfolge: Obstblüte, Robinie, Linde. Die Kunst, sortenreinen Honig zu erhalten, besteht darin, ihn zum richtigen Zeitpunkt abzuschleudern. Haupttracht in Berlin ist die Linde, sie ergibt einen würzigen Honig. Insgesamt kann Fleischbein jedes Jahr bis zu 800 Pfundgläser Honig abfüllen. Ein Glas kostet rund 3,50 Euro.
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Der Verbrauch: Die Deutschen liegen beim Honigkonsum weltweit an der Spitze. Nach Angaben des Honig-Verbandes, der Importeure und Abfüller vertritt, verspeisen sie jährlich 1,1 Kilogramm pro Kopf. Um diesen Bedarf zu decken, werden 80 Prozent des Honigs importiert - davon über 23.000 Tonnen allein aus Argentinien.
taz: Herr Fleischbein, müssen Sie oft ausrücken, weil Ihnen ein Schwarm weggeflogen ist?
Wolfgang Fleischbein: Nein, eigentlich nicht so oft. Das passiert vor allem dann, wenn die Bienen das Gefühl haben, dass es zu eng ist. Wenn zu viel Honig in den Waben ist oder zu viel Brut. Dann entscheidet sich das Volk zu schwärmen. Sprich: Ein Teil der Bienen haut mit der Königin ab. Die lässt aber Zellen zurück, aus denen eine neue Königin schlüpft.
Lässt sich das Schwärmen verhindern?
Am besten gibt man den Bienen ein Gefühl der Leere. Sie müssen immer zu tun haben. Es ist genau wie bei den Menschen: Wenn es ihnen zu gut geht, kommen sie auf dumme Gedanken.
Und was machen die Bienen, wenn sie abgehauen sind?
Sie warten, bis ein Imker kommt und sie einfängt.
Was haben sie dann gemacht, bevor es Imker gab?
Da haben sie im Wald gelebt, in Höhlen und hohlen Bäumen. Sie haben dasselbe gemacht wie heute, haben Honig gesammelt, und wenn es ihnen zu bunt wurde, sind einige abgehauen. Früher sind die Leute in den Wald gegangen, haben geschaut, wo etwas fliegt, den Baum umgeschlagen und die Waben rausgeholt. Der preußische König hat das dann verboten, weil die Waldschäden zu groß waren.
Was würde passieren, wenn kein Imker mit der Kiste kommt?
Wenn ich die Bienen nicht einfange, warten sie erst einmal ab. Aber morgen, so gegen elf Uhr, denken sie, och, hier geschieht nichts - und fliegen weiter. Vielleicht suchen sie sich dann einen hohlen Baum. Manchmal hängen sie sich aber auch in einen Kamin, vielleicht von der nächsten Bäckerei. Das ist dann nicht so praktisch.
Wann sind Sie das letzte Mal gestochen worden?
Letzte Woche. Das passiert häufiger. Ich imkere jetzt seit 60 Jahren, und bin bestimmt tausend Mal gestochen worden.
Wie schützen Sie sich dagegen?
Man darf sich nie hektisch bewegen und die Tiere nicht drücken. Ein Sprichwort sagt: "Wenn Bienen stechen, ist der Imker schuld." Wichtig ist aber auch eine ordentliche Zucht.
Ordentlich?
Ordentlich heißt, dass die Königinnen alle Eigenschaften haben, die der Imker sich so wünscht. Dass sie viel sammeln, viel brüten und friedlich sind. Alles genetische Voraussetzungen, die im Laufe der Zeit herangezüchtet worden sind.
Ein Bienenvolk besteht aus tausenden Tieren. Was für ein Verhältnis hat man denn da als Imker zum einzelnen Insekt?
Ich liebe meine Bienen. Eine persönliche Beziehung zur einzelnen Biene hat man natürlich nicht. Die meisten leben nur sehr kurz. Die Winterbienen, die im August erbrütet werden, um das Leben im Stock über den Winter zu tragen, werden ein halbes Jahr alt. Aber die, die jetzt fliegen, die Nektar und Pollen sammeln, leben nur vier bis sechs Wochen. Weil sie sich regelrecht totarbeiten. Pro Flug transportieren sie 50 Milligramm Honig, das ist fast ihr eigenes Körpergewicht.
In freier Wildbahn würden die Bienen also länger leben.
Ja. Aber auch da muss die Königin dauernd für Nachwuchs sorgen. Im Laufe ihres Lebens von bis zu vier Jahren legt sie ein, zwei Millionen Eier. Wenn sie nicht mehr da ist, müssen sich die Arbeiterbienen eine neue züchten, um das Volk zu retten.
Und die macht einfach da weiter, wo die alte aufgehört hat?
Sie muss natürlich erst begattet werden, allerdings nur ein einziges Mal in ihrem Leben. Das übernehmen die Drohnen. Die sind sozusagen die Playboys im Stock. Wenn die junge Königin Duftstoffe aussprüht, riechen die Drohnen das und fliegen ihr hinterher. Die Königin fliegt immer höher, um die Schwachen auszusortieren, bis zu vier Kilometer hoch. Am Ende bleiben vielleicht zehn Drohnen übrig, die sie dann begatten dürfen. Die müssen dafür allerdings mit dem Leben bezahlen. Sobald die Königin zurückkommt, legt sie befruchtete Eier und es gibt wieder Arbeiterbienen. Und auch potenzielle neue Königinnen.
Was fasziniert Sie an Bienen?
Ich bin immer wieder beeindruckt von der Lebensleistung. Und von ihrem Sozialverhalten. Da könnten die Menschen einiges lernen. Bienen können nur in Gemeinschaft überleben, niemals alleine. Und sie sind demokratisch. Wenn sie nicht mehr zufrieden sind mit der Königin, wird sie aus dem Stock geworfen.
Für die Königin ist aber das nicht so toll.
Aber es ist das Beste für die Gemeinschaft. Genauso, wenn es ums Sterben geht: Eine Biene, die merkt, es geht zu Ende, fliegt nach draußen, möglichst, wenn die Sonne scheint, und stirbt irgendwo in der Natur. Das ist klar geregelt. Oder nehmen Sie ein Volk, das hungert: Wenn dann ein paar Bienen eine Futterquelle finden, wird es im ganzen Bienenvolk geteilt.
Oder der Imker nimmt es ihnen weg.
Wenn sie einen Imker haben, müssen sie in der Regel nicht hungern. Der Kompromiss ist: Ich gebe ihnen Kost und Logis, dafür nehme ich ihnen den Honig weg. Von dem sammeln sie ja unendlich viel mehr, als sie zum Überwintern benötigen.
Wie sind Sie zum Imkern gekommen?
Ich bin in einem Dorf in der Pfalz groß geworden. Da gab es einen Lehrer, der hatte Bienen. Und weil mich das interessierte, hat er gesagt: Okay, mach mal mit. So bin ich reingewachsen, mit einem Paten. Das empfehle ich auch jedem, der mit der Imkerei anfangen will: erst einmal ein Jahr mitgehen, dann kann man sich selbst einen Schwarm fangen. So habe ich es auch gemacht.
Ist Imkern ein teures Hobby?
Eher nicht, man braucht ja nicht viel: Bienenkästen, Rahmen, Mittelwände, eine Schleuder.
Sie haben gerade zehn Völker. Wie viel Arbeit macht das?
Unter Imkern sagt man: "Die Bienen wollen täglich ihren Herrn sehen." Das gilt vor allem in der Saison, wenn sie fliegen. Da muss ich alle sieben bis neun Tage die Stöcke durchkontrollieren, ob die Bienen keine Schwarmlust haben. Das dauert pro Volk etwa eine halbe bis Dreiviertelstunde. Macht ungefähr zehn Stunden Arbeit alle zwei Wochen. Dazu kommt aber noch eine Menge anderes: Gläser spülen, befüllen, etikettieren - alles Arbeiten, die mir weniger Spaß machen.
Was haben Sie beruflich gemacht?
Ich bin Ingenieur und war in einer großen Firma Vertriebsleiter für Dampfturbinen. In dem Job bin ich viel herumgekommen und war immer wieder ein paar Tage nicht zu Hause. Es kam öfters vor, dass Leute bei uns anriefen, weil ich einen Schwarm aus ihrem Garten holen sollte. Meine Frau musste dann sagen: Geht nicht, der ist gerade in Singapur. Zum Glück haben wir Imker ein Telefonnetz, da findet sich immer jemand, der übernimmt.
Warum haben Sie aus der Imkerei nicht Ihren Beruf gemacht?
Beruflich zu imkern würde mir nur halb so viel Freude machen. Dann hat es mit Kommerz zu tun, mit Gewinn, das möchte ich nicht. Ich verschenke auch gerne Honig, das macht mir noch mehr Spaß, als ihn zu verkaufen. Um davon zu leben, muss man schon hunderte von Völkern haben.
Gibt es deshalb so wenig Nachwuchs-Imker?
Ich denke, die Jugend hat einfach andere Interessen. Wahrscheinlich sind Computerspiele und Internet interessanter. Aber wir Imker müssen natürlich auch Werbung machen. Ich selbst habe ein kleines Museum aufgebaut, der Imkerverein macht auch Arbeit an Schulen und bietet Schnupperkurse an. Da kommen dann Leute, denen schenkt man vielleicht am Ende einen Ableger, also ein kleines Volk.
Seit diesem Jahr versucht die Initiative "Berlin summt" das Imkern populärer zu machen - indem sie zum Beispiel Bienenkästen auf das Abgeordnetenhaus stellt.
Ich halte das eher für einen Gag. In Paris gibt es das schon länger, auch auf Sacre-Coeur stehen Bienenvölker. Das Problem ist aber: Wo können die Bienen Nektar sammeln? Sicherlich, es gibt Straßenbäume, aber das Angebot ist in der Innenstadt kleiner. Dann fangen sie an zu räubern, bedienen sich an weggeworfenen, kontaminierten Gläsern, womöglich aus dem Müll. Ich persönlich würde das Geld, das in solche Projekte fließt, anders investieren. In das Heranziehen von Jungimkern eben, oder in Krankheitsprophylaxe.
Haben Sie auch mit Bienenkrankheiten zu kämpfen?
Vor allem mit der Varroamilbe, die kriegen wir alle nicht mehr los. Die ist übrigens ein Effekt der Globalisierung: Wenn Bienen importiert werden, kommen auch Krankheiten mit. Die Varroa wurde von Professoren eingeschleppt. Aber man kann so etwas schon in den Griff bekommen. Selbst gegen ganz schlimme bakterielle Krankheiten wie die Faulbrut gibt es heute Mittel, auch biologische. Früher konnte man da nur noch alles anzünden. Aber es gibt immer wieder neue Probleme für uns Imker.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel wenn die Firma Bayer, wie in Baden geschehen, die Bienen ausrottet. Da wurden tausende von Völkern durch ein blödes Spritzmittel für den Mais vernichtet. Da steht mitunter die Existenz auf dem Spiel.
Bei Honig aus der Stadt denkt man auch erst einmal an Schadstoffe.
Die Schadstoffbelastung ist hier gering. Eine Untersuchung von Studenten hat ergeben, dass wir etwa ganz wenig Blei und Cadmium haben. Es gibt allerdings Orte, wo die Kontamination viel höher ist, etwa in Spandau, wo die Flugzeuge über den Gärten starten, oder am Westkreuz, wo es ein dichtes Autobahnnetz gibt.
Unterscheidet sich das Imkern in der Stadt wesentlich vom Imkern auf dem Land?
Die Frage ist ja: Sind wir hier draußen in Tegel in der Stadt? Das hier ist ein Paradies. Wir haben nur ganz natürliche Gewächse, Obstbäume, Kastanien, Robinien, alles. Natürlich würde ich mal gerne irgendwo hingehen, wo nur Wildblumen wachsen, und die abernten. Keinen Spaß würde es mir aber draußen in Brandenburg machen, mit diesen riesigen Agrarflächen und alles gespritzt. Obwohl es im Osten noch großes Potenzial gibt. Brandenburg ist bienenleer.
Wieso bienenleer?
Im Osten haben über 90 Prozent der Imker aufgegeben. Die Imker in der DDR waren reiche Leute, der Staat hat ihnen den Honig für sechs DDR-Mark das Pfund abgenommen und für sechs Mark in den Westen weiterverkauft. Es waren meist Wanderimker, die hatten große Wagen mit zig Völkern drauf. Mit denen sind sie in den Raps gefahren, haben den abgeerntet und den Honig in großen Alukannen abgeliefert. Nach der Wende standen sie dann plötzlich vor dem Nichts. Sie wussten nicht, wie man den Honig verkauft und oft nicht mal, wie man ihn richtig abfüllt.
Und wie sieht es bei Hobbyimkern mit der Vermarktung aus?
Ich selbst mache gar keine Reklame mehr, weil die Leute reinen Imkerhonig schätzen. Sonst weiß man ja nie, was drin ist in diesem Industriehonig. Honig für ein, zwei Euro das Pfund, das geht betriebswirtschaftlich gar nicht. Viele kaufen den natürlich. Aber wer ein Bewusstsein dafür entwickelt hat, kauft beim Imker, möglichst beim Hobbyimker, der keine kommerziellen Interessen hat. Zu mir kommen manchmal Kunden, die wollen gleich 20, 30 Gläser. Aber das mache ich nicht mehr. Früher kam der Chefarzt der Traditionellen Chinesischen Medizin an der Charité zu mir und kaufte riesige Mengen. Der hat den Honig therapeutisch eingesetzt.
Ist Ihr Honig eigentlich bio?
So nennen dürfen Sie Honig nur, wenn er von einem Verband wie Demeter oder Bioland zertifiziert worden ist. Das kostet aber viel Geld und rechnet sich nur für Berufsimker. Ich bemühe mich auch ohne Zertifikat, biologisch zu imkern. Ich hantiere nicht mit Chemie und verwende Mittelwände von einem Biofabrikanten. Ich füttere auch nicht mit Fabrikzucker, das heißt, ich lasse den Bienen für den Winter einen Teil des Lindenhonigs in der Beute.
Und überstehen die Bienen den Winter damit besser?
Beweisen kann ich es nicht. Aber in den letzten Jahren hatte ich fast keine Ausfälle.
Welche Sorten stellen Sie her?
Obstblüte, Robinie und Linde. Robinie ist übrigens der einzige Honig, der nicht nach wenigen Monaten auskristallisiert und fast ein Jahr lang flüssig bleibt. Besonders Kinder mögen das.
Wie kommt man zu sortenreinem Honig?
Das hängt einfach vom Zeitpunkt ab. Wenn ich rechtzeitig nach der jeweiligen Blüte abschleudere, erhalte ich weitgehend sortenreinen Honig.
Mögen Sie selbst noch Honig?
Unverändert. Allerdings esse ich ihn nicht pfundweise. Jeden Morgen rühre ich einen Löffel ins Müsli, auch Pollen, auch ein bisschen Wachs, das gehört dazu.
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