Berliner Kneipen in Zeiten von Corona: „Wir haben die Arschkarte“
Speiselokale dürfen ab dem 15. Mai öffnen, Kneipen und Shishabars nicht. Heiner Klinger, Wirt der Szenekneipe Slumberland, fordert Gleichbehandlung.
taz: Herr Klinger, das Slumberland am Winterfeldtplatz bleibt, wie alle anderen Kneipen in Berlin, geschlossen. Was sagen Sie zu der Entscheidung des Senats?
Heiner Klinger: Ich war sehr enttäuscht, als ich das am Donnerstag gehört habe. Ich halte das für keine faire Lockerung. Für die Kneipen ist diese Ungleichbehandlung Hardcore. Wissen Sie, was passieren wird?
Nein.
Die Leute setzen sich nebenan in die Restaurants und trinken dort ihr Bier. Ich hoffe, dass der Senat das in dieser Woche noch mal überdenkt und wir Kneipen auch wieder ein bisschen Geld verdienen dürfen. Sonst machen sie eine ganze Branche kaputt, denn viele Kneipen werden das nicht überleben.
Die aktuelle Sars-CoV-2-Eindämmungsverordnung des Senats vom 7. Mai erlaubt Gaststätten mit selbst zubereitetem Speiseangebot ab dem 15. Mai 2020 wieder aufzumachen. Möglich ist eine Öffnung bis 22 Uhr im Innen- und Außenbereich. Gäste wie Personal müssen Abstands- und Hygieneregeln einhalten.
Reine Schankwirtschaften, gemeint sind Kneipen, sowie Rauchergaststätten und Shishabars müssen weiterhin geschlossen bleiben.
„Bei Raucher*innen sind die Abwehrkräfte des Bronchialsystems eingeschränkt. Aus diesem Grund besteht bei Raucher*innen grundsätzlich ein erhöhtes Risiko, sich mit einer Vireninfektion anzustecken“, heißt es in einer Pressemitteilung der Senatskanzlei vom 21. April. (plu)
Der Senat hat beschlossen, dass nur Gaststätten, die Speisen selbst zubereiten, ab dem 15. Mai aufmachen dürfen.
Das ist absurd. Auch in einer Gaststätte mit Vollkonzessionsküche musst du nichts essen, du kannst nur etwas trinken. Der Wirt hat auch viel mehr Interesse daran, dir Alkohol zu verkaufen als Essen, weil er am Essen kaum was verdient. Mir geht es für die Kneipen um Gleichbehandlung.
Was ist mit der Einhaltung der Auflagen für den Infektionsschutz? Wäre das im Slumberland denn möglich?
Wir können die Vorsichtsmaßnahmen genauso einhalten wie jedes Restaurant auch. Am Tresen darf sich kein Gast aufhalten, alle müssen an Tischen sitzen. Einlassbeschränkungen, Abstandsregeln, Hygienegrundsätze, Mundschutz – wir fahren das volle Programm. Keiner würde dagegen verstoßen, weil alle heilfroh sind, dass die Kneipe wieder offen ist.
Heiner Klinger
(68) ist Wirt des Slumberland. Die Szenekneipe am Winterfeldtplatz in Berlin-Schöneberg existiert seit 1979. Nicht nur in Altwestberliner-Spontikreisen genießt das Lokal – 92 Quadrartmeter, Sandboden – Kultstatus.
Wie erklären Sie sich die unterschiedliche Verfahrensweise des Senats?
Ich will hier keine Verschwörungstheorien aufstellen, aber mein Eindruck ist, dass das für manche Leute auch eine günstige Gelegenheit ist, ihre Politik durchzudrücken.
Wen meinen Sie damit?
Die Abstinenzler und Gesundheitsapologeten, denen Kneipen ohnehin zuwider sind, weil dort zu viel Alkohol getrunken wird.
Wie kommen Sie zu dieser Annahme?
Raucherlokale sind in der Senatsverordnung zur Eindämmung des Coronavirus grundsätzlich geschlossen worden. Die Leute sollten vor sich selbst geschützt werden. Sie seien ja gesundheitlich angeschlagen, weil sie rauchen. Das steht in der Senatsverordnung vom 21. April wortwörtlich so drin! Da kann man sich doch nur noch fragen: Wo sind wir hier eigentlich?
Mit Blick auf Corona könnte man aber auch einwenden, Alkohol senkt die Hemmschwelle, die Leute halten die Abstandsregeln dann nicht mehr ein.
Da ist sicher was dran. Aber das Problem besteht in Restaurants genauso. Der Punkt ist: Wenn man Kneipen verbietet, muss man auch den Alkoholausschank in Restaurants verbieten. Dann wäre das okay, weil nirgendwo Alkohol ausgeschänkt würde. In manchen Ländern ist das zu Coronazeiten jetzt ja so. Im Interesse der Gastronomie wäre das natürlich nicht. Im Übrigen ist es in der Praxis doch so: Wenn einer volltrunken ist, kriegt er in der Kneipe sowieso nichts mehr. Der fliegt dann raus. Das war schon immer so.
Was wollen Sie nun tun? Sie könnten gegen die Verordnung klagen.
Wir müssen uns erst mal mit anderen Wirten, die in derselben Situation sind, beraten. Es geht darum, öffentlichkeitswirksam Druck aufzubauen. Gaststätten mit Vollkonzessionsküche haben da eine ganz andere Power mit der Dehoga Berlin im Rücken...
... dem Hotel- und Gaststättenverband.
Ja. Die Großen sind alle im Verband und können dementsprechend Alarm schlagen. Wir kleinen Krauterer haben die Arschkarte, auf gut Deutsch gesagt.
Warum gibt es für das Slumberland noch keine Spendenaktion von Stammkunden, wie das bei anderen Kneipen oder den Clubs zum Teil der Fall ist?
Meine Hoffnung war, dass ich in dieser Woche wieder aufmachen kann. Es geht auch um die Existenz. Ich habe neun Mitarbeiter. Die Minijobber kriegen kein Kurzarbeitergeld und die studentischen Hilfskräfte auch nicht, die fallen teilweise total durchs Netz. Ich musste denen zum Teil Vorschüsse geben, und dann kommt so ein Beschluss! Eine Spendenaktion wäre der allerletzte Rettungsanker. Das Problem ist zudem: Wenn du pleitegehst, sind auch die Spendengelder weg. Es wäre mir lieber, die Leute kommen, um zu konsumieren, statt zu spenden, und ich bezahle wieder fröhlich meine 19-prozentige Umsatzsteuer.
Wird das Slumberland denn richtig vermisst?
Die Stammgäste schimpfen alle, aber das Slumberland findet ja statt.
Wie bitte?
Die Leute sitzen jetzt alle in der Begegnungszone in der Maaßenstraße oder auf dem Winterfeldtplatz zusammen und holen sich in den umliegenden Geschäften etwas zu trinken. Ich gucke zu und denke, was für ein Mist (lacht). Die Polizei kann solche öffentlichen Ansammlungen ja nicht überall kontrollieren.
Die Straße als Kneipenersatz – das hat doch auch was.
Aber ich mache dabei keinen Umsatz. Um Flagge zu zeigen, dass ich noch existiere, verkaufe ich manchmal ein bisschen Pizza und Getränke außer Haus zum Mitnehmen. Außerdem: Eine Kneipe hat auch noch ein bisschen eine andere Funktion. Das ist wie ein Wohnzimmer. Auf dem Platz verläuft sich das eher. Das Lustige ist: Die Begegnungszone hat noch nie so gut funktioniert wie jetzt, obwohl sie potthässlich ist.
Die Maaßenstraße war im Auftrag des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg 2015 mit Betonpollern und Metallbänken verkehrsberuhigt worden. Im Kiez fand das wenig Anklang.
Aber jetzt sind die Leute froh, dass sie die Begegnungszone haben. Ohne Witz. Selbst die, die am lautesten dagegen angekräht haben, sind jetzt dort.
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