Berliner Jugend früher und heute: „Flyer aus der Nuddelmaschine“

Vor 60 Jahren eröffnete das Schöneberger Kulturzentrum „Weiße Rose“. Wie es seinen Charme bewahren konnte, weiß Leiter Frank Hoffmann.

Jugend kann alles und will alles – man muss sie nur machen lassen Foto: dpa

taz: Herr Hoffmann, das Kulturzentrum „Die Weiße Rose“ wurde 1956 vom Bezirksamt Schöneberg als eines der ersten Jugendhäuser Westberlins eröffnet. Wer initiierte die Gründung vor 60 Jahren?

Frank Hoffmann: In der Nachkriegszeit fehlte es wegen der Wohnungsnot in der Stadt an Räumlichkeiten, in denen Jugendliche sich ausleben konnten. Deswegen wurde das Jugendamt aktiv und gründete die Weiße Rose, um eine Alternative für die Jugendlichen zu schaffen und sie von der Straße zu holen.

Was wurde dort angeboten?

Das wissen wir selbst nur aus Recherchen in alten Unterlagen: Die ersten Programme waren kostengünstige Kulturangebote – es gab Film-, Tanz- und Theaterabende – und regelmäßige politische Diskussionen, auch mit politischen Gästen.

Sie sind seit 26 Jahren dabei. Hat sich das Angebot in der Zeit verändert?

Ja, der allgemeine Schwerpunkt in den 70ern waren noch offene Angebote: Mit Kickertisch und Stand-by-Angeboten. Als ich vor über 20 Jahren anfing, waren wir dann mit dem neuen Ansatz der kulturellen Jugendarbeit noch Exoten: Wir versuchten, aus unterschiedlichen Interessengruppen gemeinsame Projekte zu starten.

Wie muss man sich das vorstellen?

52, arbeitet seit 26 Jahren im 1956 eröffneten Kulturzentrum Die Weiße Rose in Schöneberg. Seit zwei Jahren ist Hoffmann dort stellvertretender Leiter.

Ein Musical zum Beispiel: Die Theatergruppe inszenierte, unsere Nähgruppe gestaltete die Kostüme, und die Band, die zu dem Zeitpunkt im Keller probte, spielte. Das war der Start für die Art von Jugendarbeit, wie wir sie heute noch praktizieren. Später begannen wir regelmäßig Konzerte zu veranstalten und junge Bands einzuladen. In den folgenden 20 Jahren ist unser Konzept dann ähnlich und ähnlich erfolgreich geblieben.

In den letzten 60 Jahren gab es eine rasante technische Entwicklung. Was hat sich dadurch verändert?

Einiges. Als ich angefangen habe, hatten wir noch eine Schreibmaschine und Club-Ausweise, die mit einem Prägegerät hergestellt wurden. Flyer produzierten wir mit einem antiken Spiritus-Vervielfältiger, unsere „Nuddelmaschine“. Das war unsere Technik. Heute ist es natürlich anders. Vor allem das Kommunikationsverhalten und die Werbung haben sich verändert. Früher ging das über Mund-zu-Mund-Propaganda. Dann über E-Mails. Heutzutage läuft alles über soziale Medien.

Was hat sich noch verändert?

Das Schöneberger Kulturzentrum Die Weiße Rose lädt zu seinem sechzigjährigen Jubiläum am Samstag ein. Um 20 Uhr in der Martin-Luther-Straße 77, am Wartburgplatz. Gefeiert wird zu der Musik von fünf jungen Berliner Rock- und Pop-Bands. Der Eintritt ist frei.

Die Atmosphäre ist eine andere geworden. Vor der Wende gehörte die Weiße Rose mit ihrem Saal zu den sieben größten Spielstätten Westberlins. Das hat sich völlig geändert in den letzten 15 Jahren: Mit der Clubkultur ist es für junge Künstler heutzutage in Berlin gar kein Problem mehr, irgendwo aufzutreten und Raum zur künstlerischen Entfaltung zu finden.

Gefährdet diese Entwicklung Ihr Jugendzentrum?

Nein, als Einrichtung der Jugendförderung haben wir einen Auftrag mit kulturpädagogischen Zielen, die den Jugendlichen mehr vermitteln als das reine Auftreten im Club.

Was macht Ihr Zentrum denn besonders?

Wir haben zum Beispiel eines der letzten gut funktionierenden Schwarz-Weiß-Fotolabore, wo man noch in Entwicklerlösung geschwängerter Luft Bilder entwickeln kann. Mit dem Aufkommen der Digitalfotografie gab es zunächst einen Knick, aber heute wollen die Jugendlichen die Retro-Technik wieder gerne lernen. Am Ende gibt es dann eine richtige Vernissage mit Livemusik.

Was macht für Sie den Reiz Ihrer Arbeit aus?

Oft denke ich: Das ist es, wofür ich arbeite! Das macht mir Spaß! Zum Beispiel, wenn ein Tanzworkshop nach zehn Tagen Arbeit ein Stück auf die Bühne bringt, das mir den Atem stocken lässt.

Was bieten Sie aktuell an?

Wir haben drei Veranstaltungsreihen: Jeden Mittwoch „Kultur im Foyer“, einmal im Monat „Stoff“ – mit Lesungen von jungen Autoren und seit etwa 15 Jahren die „LiveZone“-Reihe. Dort können junge Bands oder auch unbekannte Berliner Künstler Erfahrungen auf der Bühne sammeln. Wir coachen sie und bieten Ihnen die Möglichkeit mit Bands, die mehr Erfahrungen haben, zu musizieren. Außerdem bieten wir ihnen Räume: Wir haben einen Veranstaltungssaal, zwei Proberäume für Tanz- und Theatergruppen und seit 30 Jahren ein Tonstudio im Haus, das sogenannte Musiklabor. In der Weißen Rose wird ständig Neues entwickelt, vieles geschieht spontan.

Der Name Die Weiße Rose gab dem Haus einen politischen Anspruch. Besteht der noch heute?

In den 50ern, zu der Zeit, als die Namen vergeben wurden, gab es den ersten zaghaften Versuch, die Nazizeit zu reflektieren, und man hat deswegen Schulen und Jugendhäusern solche Namen gegeben. Für uns ist es bis heute ein Anspruch, sich bei Schaffungsprozessen demokratisch anzunähern.

Und finanzielle Sorgen haben Sie keine?

Na ja, die Stadt ist klamm, und das merken wir als öffentliche Einrichtung genauso wie alle anderen. Finanziell und personell. Aber Sorgen mache ich mir deswegen keine. Als zentrales Jugendkulturzentrum für den Bezirk Tempelhof-Schöneberg spielen wir eine wichtige Rolle. Aber natürlich freue ich mich, wenn wir auch zukünftig in unseren Bemühen gut unterstützt werden.

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