Berlinblick Wir essen hier schon lange Maultaschen. Trotzdem reduzieren sich die Baden-Württemberger zum Länderfinanzausgleichkrösus. Zeit für ein Ende der schwäbischen Minderwertigkeitsgefühle, egal wie die Wahl am 13. März ausgeht: Ihr habt doch einen Komplex
VON TAZ-CHEFREDAKTEUR Georg Löwisch
Frühmorgens stehen die Kreuzberger bei Sporys in der Katzbachstraße um badisches Brot an, mittags schmausen Start-upper in den Schwarzwaldstuben in Mitte Maultaschen oder Käsespätzle, und abends am Schlesischen Tor decken sich Hipster beim Späti mit Rothausbier ein. In der Berliner Politik ist es schon so, dass Özdemirs Schwäbisch niemandem mehr auffällt, Schäuble für so ziemlich alles kritisiert wird, aber nicht wegen seiner badischen Ironie, und dass sogar die Linke in Bernd Riexinger als Chef einen Schwaben hat, der einst bei der Leonberger Bausparkasse anfing.
Integration gelungen, vergessen sind die Zeiten, da sich Berlin über den Einmarsch des schwäbisch-spießigen Pietkongs aufregte und über die CDU-Dauerherrschaft dort unten lieber peinlich berührt schwieg. Nun steht auch noch die Wahl in Baden-Württemberg am 13. März an. Und Deutschland interessiert sich, weil es die spannendste Wahl seit vielen Jahren ist.
Das neu gewachsene Bild von Baden-Württemberg muss nur noch bei einer Gruppe ankommen: bei den Baden-Württembergern.
Das wird schwer. Denn sie tragen einen Provinzkomplex mit sich herum, gegen den sie jahrzehntelang vergeblich angekämpft haben. Sie taten dies, indem sie sich aufplusterten, zum Länderfinanzausgleichkrösus, zum Weltmarktführerweltmeister und was weiß ich nicht alles. Sie haben eine Landesvertretung neben den Berliner Tiergarten betoniert, der die benachbarten Botschaften von Indien und Südafrika durchaus bescheiden aussehen lässt und die in ihrem Bombast wirkt wie die überirdische Variante von Stuttgart 21. Es ist ein Monument schwäbisch-badischen Minderwertigkeitsgefühls.
Zwischendurch gab es einmal den Versuch, dem Komplex, also sich selbst, ein Schnippchen zu schlagen, indem man mit dem Slogan „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ in die Offensive ging. Darin schwang aber immer noch mit, dass sich ein wenig entschuldigen muss, wer aus Baden-Württemberg ist und dies – anders als der Autor dieses Textes – nicht zu verheimlichen vermag.
Selbstbild und Fremdbild, Stuttgarter Brille und Berliner Blick – wie kommt man zu einem angemessenen Bild?
Eine Woche vor der Landtagswahl haben die Redaktionen von Kontext und taz ihre Kräfte zusammengeschmissen. Die Kontext:Wochenzeitung liegt seit nunmehr fünf Jahren der taz.am wochenende bei. Aber die taz hat auch einen eigenen Südwestkorrespondenten, und die Kontextseiten sind unabhängig und selbstverständlich kein Beilaufböppele der taz. Aber in dieser Ausgabe haben wir einmalig und mit vereinten Kräften ein extradickes Paket zu Baden-Württemberg und dieser Wahl gepackt.
Es steht ja auch eine Menge auf dem Spiel am 13. März. Zieht die AfD tatsächlich zweistellig ins Parlament des drittbevölkerungsreichsten Bundeslandes ein? Drücken die Wähler_innen die SPD wirklich Richtung 13 Prozent herunter? Macht der Ultrarealo Kretschmann noch mal das Rennen? Kommen die Grünen erstmals vor der CDU ins Ziel? Oder war’s das? Hat sich der Ministerpräsident in der Mitte verirrt? Und was geschieht, wenn die CDU mit Guido Wolf – in der Flüchtlingspolitik „zwischen Merkel und Seehofer“ – zerbröselt? Schließlich: Welche Auswirkungen hat das auf Merkel?
Guckt man heute von Berlin auf Baden-Württemberg, dann schaut es größer aus als früher. Und vielleicht ist das ein Ergebnis der Wahl – egal, wie sie ausgeht. Dass Baden-Württemberg der Welt seine Wichtigkeit gar nicht mehr mitteilen muss, dass es sich nicht mehr so arg aufplustern muss. Wenn der Südwesten seinen Komplex überwindet – das wäre historisch.
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