Berlinale-Standbild (Teil 5):: Leider völlig leidenschaftslos
Unsere Autorin wundert sich über eine Stadt im vermeintlichen Berlinale-Fieber. Und in Pyeongchang ist Olympiade. Na und. Der Alltag geht weiter.
Ich habe gehört, es ist wieder Berlinale in der Stadt, schon seit ein paar Tagen. Ich habe gehört, dass Menschen deshalb mit Campingstühlen und sogar in Schlafsäcken vor Kinokassen ausharren: eine Zähigkeit und Hingabe an das Medium Film, die mich jedes Jahr aufs Neue ehrlich beeindruckt. Der Ressortleiter hat seinen alljährlichen Berlinale-Urlaub genommen, und auf der Konferenz erzählt der Kollege von der Unmöglichkeit, in diesen Zeiten abends in der Innenstadt irgendwo ein Schnitzel im Sitzen zu essen, weil alle einschlägigen Gelegenheiten voll seien mit Berlinale-Gängern.
Ich stelle mir die Berlinale immer wie eine große, glitzernde Seifenblase vor, die sich für ein paar Tage im Februar über ihr Epizentrum, den Potsdamer Platz, senkt, und ich habe sie nie so ganz kapiert. Weil ich in einer Zeitungsredaktion arbeite, fühlt sich dieses Nichtverstehen immer ein wenig merkwürdig an: Schließlich werden Texte wie dieser geschrieben, weil die Berlinale das Thema ist und eine ganze Stadt dem „Berlinale-Fieber“ erlegen, so insistiert jedenfalls die RBB-„Abendschau“ beharrlich vom roten Teppich.
Aber dieses ominöse Fieber, weshalb es ja auch diese Kolumne überhaupt nur gibt, grassiert immer da, wo ich gerade nicht bin. Leider bin ich völlig fieberfrei, und der rote Teppich fühlt sich in etwa so weit weg an wie das Spiel um Platz drei im Curling-Wettbewerb, das dieser Tage im südkoreanischen Pyeongchang ansteht. Ich habe gehört, da finden gerade die Olympischen Winterspiele statt.
So weit weg wie Pyeongchang
Kürzlich erklärte ein Kollege in einem kleinen Textchen in einer großen deutschen Wochenzeitung, was er an der Berlinale so sympathisch findet, und zwar: diesen gordischen Knoten an verschiedenen Wettbewerben, der die Entscheidungsfindung für diesen und gegen jenen Film und den entsprechenden Ticket-Erwerb ja tatsächlich zu einem Fulltime-Job macht.
Der Autor schalt nun wiederum die Kritiker dieser Unübersichtlichkeit, denen zufolge das Programmchaos den freien Blick auf die paar Stars und die wenigen leuchtenden Glanzstücke dieser Filmfestspiele verstelle. Der Text schimpfte über so viel provinzielle Kleingeistigkeit, denn: Die Vielfalt auf der Berlinale sei doch ein Sinnbild für diese Stadt an sich, für den Wildwuchs der Großstadt.
Diese geradezu politische Botschaft gefällt mir: Gerade vorher hatte ich aus Versehen die Werbekampagne der CSU für das neue Heimatministerium auf Facebook gesehen. Wie gut, dass Berlin die Berlinale hat.
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