Berlinale-Standbild (Teil 1): Alles mit der Hand gesaugt
Er ist aus rotem Kunststoff, kennt die Geschichte der Stadt und die Schuhe der Stars. Unser Autor läuft schon einmal über den Berlinale-Teppich.
Da liegt er also, der rote Teppich. Säuberlich ausgerollte 18 Meter vor dem Eingang des Theaters am Potsdamer Platz, das sich ab heute für zehn Tage wieder „Berlinale Palast“ nennt. Zuschauer aus der ganzen Welt wird der rote Kunststoff während der 68. Auflage der Filmfestspiele willkommen heißen. Allein in der Hauptspielstätte begleitet er 24 Premieren und erträgt, wie sich die internationale Prominenz in teurer Kleidung auf ihm zur Schau stellt. Er hat Bilder von sich mit sämtlichen PreisträgerInnen der letzten Jahre, er kennt das Blitzlichtgewitter und die Schuhgrößen der Stars.
Er ist ein alter Begleiter der Berlinale. Gemeinsam mit seinen roten Kollegen an den übrigen Berlinale-Kinos tut er seinen Job seit den 1950er Jahren. So viel hat er in seiner Laufbahn erlebt, sah eine Stadt sich neu erbauen, war Zeuge, wie eine Mauer wuchs und wie sie wieder fiel.
Als das Theatergebäude am Potsdamer Platz 1998 gebaut wurde, war er schon vier Jahrzehnte im Dienst. Und auch dieses Jahr sieht er wieder festlich aus, das muss man sagen. Das leuchtende Rot ist eine Berlinale-eigene Sonderfarbe, wie es aus dem Pressebüro heißt. Rot hat etwas Herrschaftliches. Es ist die Farbe der Könige, aber auch des Umsturzes. Rot ist die Revolution, aber auch das Stoppschild. Rot ist Blut, Feuer, Liebe, Erotik. So viele Assoziationen gebündelt in einem Stück Stoff.
Ein ganzes Team aus Teppichen
Wobei es eigentlich nicht ein Stück Stoff ist. Der rote Mitarbeiter, der immer der Gleiche zu sein scheint, ist eigentlich ein ganzes Teppichteam. Ein- bis zweimal pro Festival kann er – je nach Abnutzung – ausgetauscht werden. Schließlich soll er seine Strahlkraft nicht verlieren. Wer also am letzten Tag die weichen Meter entlangschreitet, berührt wahrscheinlich anderen Boden als noch am Tag der Eröffnung.
Um bloß keine Wellen in den „berühmten“ Stoff zu schlagen, wird er aufwändig in Handarbeit gereinigt, statt ihm mit schweren Reinigungsmaschinen zu Leibe zu rücken, erklärt Ilhan Demirbas. Er ist Leiter des Reinigungsteams im Martin-Gropius-Bau, wo während der Berlinale der European Film Market (EFM) stattfindet. Ein Reinigungsmitarbeiter kann dort in einer Schicht schon mal zehn Kilometer laufen und eine Fläche von insgesamt 1.000 Quadratmetern saugen.
Den sauberen Boden nutzten bereits einige vorfreudige Filmliebhaber, als sie am vergangenen Sonntagabend mit Schlafsäcken auf dem roten Teppich vor dem Ticketschalter nächtigten. Unter den Kopfkissen und Isomatten, die schlafenden und wachenden Kinofans bettend, wirkte das nächtliche Rot dann vor allem eins: gemütlich.
Alles zur Online-Petition zur Berlinale und #MeToo: Der schwarze Teppich
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