Berlinale-Spielfilm „Tótem“: Pozole und Morphium

In ihrem Spielfilm entwickelt die mexikanische Regisseurin Lila Avilés das spannungsreiche Porträt einer Familie. „Tótem“ läuft im Wettbewerb.

Ein Mädchen blickt ins Leere, vor ihr Kerzen. Eine davon zündet eine Person an, die hinter dem Mädchen steht

Die siebenjährige Sol (Naíma Sentíes) will in „Tótem“ ihren sterbenden Vater sehen Foto: Limerencia

Sol ahnt, dass ihr Vater Tona bald sterben wird. Im Haus ihres Großvaters wird der noch junge Maler hinter verschlossenen Türen von einer Pflegerin betreut. Dort planen Sols Tanten Nuri und Alejandra für den Abend ein großes Fest zum Geburtstag des kranken Bruders.

Hektische Vorbereitungen werden in dem weitläufigen, etwas in die Jahre gekommenen Elternhaus getroffen, während sich die Wege der Bewohner immer wieder mit den neu eintreffenden Gästen kreuzen. In diesem räumlich und zeitlich definierten Rahmen entwickelt die mexikanische Regisseurin Lila Avilés „Tótem“, ihren Spielfilm, den einzigen lateinamerikanischen Beitrag im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale.

Familie, Freundschaft und Tod

Im Zentrum der vielstimmigen Erzählung über Familie, Freundschaft und Tod steht die siebenjährige Tochter, überzeugend dargestellt von Naíma Sentíes. Sols dringende Bitte, den geschwächten Vater sofort sehen zu dürfen, wehren die Erwachsenen hartnäckig ab, denn bis zum Abend soll Tona seine Kräfte sammeln, und bis dahin muss einiges geschehen.

Ihre Mutter arbeitet noch im Theater, und so verbringt das Mädchen die Wartezeit in der Nähe der Tanten oder streift allein durch die verschiedenen Zimmer des Hauses, den tropischen Gartendschungel und die ehemalige Keramikwerkstatt der schon verstorbenen Großmutter. Deren Zimmer wird inzwischen von ihrem Sohn Tonatiuh bewohnt. Das hat Sol von Cruz, der Pflegerin, erfahren.

21. 2., 15.30 Uhr, Zoo Palast 1

21. 2., 18.30 Uhr, Verti Music Hall

24. 2.,10 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

26. 2., 12.45 Uhr, Berlinale Palast

Das Fest wird ein Abschied sein

Reizvoll undurchsichtig fügen sich die verschiedenen Fragmente der familiären Beziehungen allmählich zu einem komplexen Ganzen zusammen. So scheinen in „Tótem“ auch die Objekte zu sprechen. Diego Tenorios Kameraführung unterstreicht diese Dramaturgie mit tastenden, neugierigen Einstellungen.

Ist die weinende junge Frau im Arbeitszimmer des Großvaters seine Patientin? Und er der Therapeut? Mit einer elektronischen Sprechhilfe gibt der ältere Herr knappe, knarrende Kommentare. Für die spirituellen Reinigungsrituale seiner Tochter Alejandra hat er jedenfalls kein Verständnis. Konzentriert widmet er sich lieber der Pflege der Bonsai. Derweil laboriert Nuri seit Stunden mit ihrer kleinen Tochter in der Küche. Die erste Geburtstagstorte ist ihnen schon verbrannt. Doch die Zeit schreitet unaufhaltsam voran. Das große Fest wird auch ein Abschied sein. Langsam füllt sich das Haus.

Für ihr Debüt wurde Avilés ausgezeichnet

„Tótem“ ist der zweite Langfilm der 1982 geborenen Regisseurin, Drehbuchautorin und ehemaligen Schauspielerin Lila Avilés. Für ihr Debüt „La camarista“ (2018) wurde sie 2019 mit dem Premio Ariel für den besten mexikanischen Nachwuchsfilm ausgezeichnet, der aus der Perspektive eines Zimmermädchens den Alltag in einem Luxushotel schildert.

Die Protagonisten ihres jüngsten Spielfilms gehören dagegen einer künstlerisch-intellektuellen Mittelschicht an. Doch spätestens durch die Krankheit des Bruders sind die finanziellen Möglichkeiten der Familie ausgeschöpft. So soll das Fest auch dazu dienen, Spenden zu sammeln.

Nur unter Schmerzen und mit Morphium betäubt bereitet sich Tonatiuh endlich darauf vor, sein Zimmer zu verlassen, um der Familie und den Freunden entgegenzutreten. Und endlich gelingt es auch Sol, einen kurzen intimen Moment mit Vater und Mutter zu genießen, bevor draußen im Patio trotz allseitiger Erschöpfung ein schillerndes, rauschhaftes Fest beginnt und ein Zyklus der Zeit unwiderruflich zu Ende geht.

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