Berlinale-Film „Hinter feindlichen Linien“: Der Krimi zum Brexit
3sat zeigt einen fünf Jahre alten Film, der nicht aktueller sein könnte. Als mörderischen Thriller getarnt erzählt er den Kriegszustand Nordirlands.
Es ist schon einigermaßen bizarr, wenn sich nächtliche 3sat-Kinofilme auf einmal als politische Kommentare aufs aktuelle Weltgeschehen verstehen lassen. Was für ein Film also zum Abschluss einer Woche, die für Großbritannien und Irland so entscheidend war.
Es handelt sich um den fünf Jahre alten Berlinale-Film „71: Hinter feindlichen Linien“. Und der zeigt ausgerechnet jene Geschichte, die den brutalen Kriegszustand in Nordirland so eindrücklich vorführt, dass man eigentlich nur erst recht sagen kann: Sorry, Leute, aber wer’s bis jetzt nicht kapiert haben sollte, ein Brexit ohne „Backstop“-Regelung ist geschichtsvergessener Riesenquatsch.
Kurze Rekapitulation: Ohne diesen „Backstop“ besteht die Gefahr, dass es nach dem Brexit erstmals wieder eine echte, harte, reale Grenze zwischen Irland und Nordirland geben könnte. Und dass damit der alltägliche Terror auf der Insel wieder anfängt, wofür es zuletzt schon Anzeichen gab. Ach so, jetzt aber endlich mehr zum Film, ich bitte um Verzeihung.
Dass das Langdebüt von Regisseur Yann Demange der richtige Film zur richtigen Zeit ist, liegt daran, dass er uns über den Protagonisten Gary Hook (Jack O’Connell) mitten ins unübersichtliche, verängstigende, rauchschwaden-wabernde Chaos auf den Straßen Belfasts zerrt. Hook ist englischer Soldat, ein junger Kerl, der keine Ahnung hat, was er da eigentlich tut – kurzfristig abkommandiert mit seiner Truppe in den Straßenkrieg gegen die IRA. Als er und ein Kollege vom Rest getrennt werden und der Kumpan ermordet wird, sind dessen Mörder auch hinter ihm her – und Hook flieht, taucht unter, versucht, sich durchzuschlagen, um zurück zu seinen Leuten zu kommen.
„71: Hinter feindlichen Linien“, So., 0.35 Uhr, 3sat
Durch Wohnungen, Hinterhöfe, Schuppen, bis sich die Grenzen zwischen jenen, denen er in diesem politischen Konflikt trauen kann und misstrauen muss komplett auflösen – und von O’Connell so gespielt, dass noch das kleinste Zucken im Gesicht alles erzählt. Den irisch-irischen Alltagskriegterror als mörderischen Thriller zu erzählen, statt den historischen Makrokosmos aufzurollen, ist ein gelungener Kniff, um den Horror jener Zeit greifbar zu machen.
Hook dürfe nicht dem trauen, was er sehe, sagt ihm sein Vorgesetzter einmal. Wäre ja mal super, wenn wir unseren Augen nicht trauen müssten, wenn Boris Johnson wieder mal mit einem neuen Plan um die Ecke kommt.
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