Berlinale-Film „Gehen und Bleiben“: Folgen des Krieges

Facettenreiche Kulturgeschichte einer dünn besiedelten Landschaft: „Gehen und Bleiben“ von Volker Koepp ist Uwe Johnsons Lebensorten auf der Spur.

Eine Frau in roter Jacke steht auf einem Bahngleis mit einem Buch in der Hand

Verbindungen zu Uwe Johnson: Judith Zander in „Gehen und Bleiben“ Foto: Salzgeber

Sheerness on Sea. Wo Mitte des 17. Jahrhunderts die Niederländer vorbeisegelten, um den Engländern die Flotte zu klauen, lädt heute eine Promenade zum Flanieren an der Küste ein. Die südenglische Kleinstadt war die letzte Station im Leben des Schriftstellers Uwe Johnson, der hier im Februar 1982 starb. In Johnsons letztem Arbeitszimmer hing jedoch eine Karte von Mecklenburg, der Gegend, in der er aufwuchs.

Nach „Seestück“ (2018), seinem Film über die Ostsee, hat sich der Dokumentarfilmer Volker Koepp nun der Geographie von Johnsons Leben zugewandt. „Gehen und Bleiben“ nähert sich in kreisenden Bewegungen Johnsons literarischem Werk und der Landschaft, die ihn prägte.

Zu Beginn gibt Uwe Johnson in einem Archivausschnitt selbst Auskunft über sein Leben. Geboren wurde er 1934 in Cammin in Pommern, heute polnisch Kamień Pomorski. „Von 1952 bis 1956 Studium der Germanistik und weiterer Folgen des Krieges in Rostock an der Warnow und Leipzig an der Pleiße. […] 1959 Rückgabe einer Staatsangehörigkeit an die DDR nach nur zehnjähriger Benutzung und Umzug nach West-Berlin.“

Später wechselte Johnson in die USA, dann nach Großbritannien. Johnsons literarisches Werk prägte die westdeutsche Moderne der 1960er und 1970er Jahre. Sein Hauptwerk, „Jahrestage“, erschienen in vier Bänden ab 1970, schlägt einen Bogen vom Ende der Weimarer Republik bis zum Kriegsende und der frühen DDR in Mecklenburg.

Tote bleiben beim Baden präsent

„Gehen und Bleiben“ entstand über einen längeren Zeitraum, die Coronapandemie, der russische Überfall auf die Ukraine klingen in den Gesprächen immer wieder als Referenzpunkte an, in denen sich die Geschichte der Landschaft und der Biografien spiegelt.

Am 3. Mai 1945 versenken britische Jagdbomber in der Lübecker Bucht den ehemaligen Luxusdampfer Cap Arcona, an Bord dessen sich zu diesem Zeitpunkt mehrere Tausend Menschen befinden, die von den Deutschen in Konzentrationslager verschleppt und kurz zuvor auf die Schiffe gezwungen wurden. Noch mehrere Wochen lang werden Leichen und Leichenteile entlang der Küste der Umgebung angeschwemmt. Für Johnson bleiben diese Toten später beim Baden in der Ostsee immer präsent.

„Gehen und Bleiben“: 26. 2., 19 Uhr, AdK

Die historischen Referenzen durchdringen sich mit Überlegungen zum Weggehen oder Bleiben in dieser dünn besiedelten Region. Der Schauspieler Peter Kurth, der aus Goldberg kommt, fasst die Bedeutung der Herkunft für sich so zusammen: „Wo kommst du her und bist du damit einverstanden?“

Volker Koepp lässt die Zügel des Bezugs auf Uwe Johnson in den drei Stunden des Films bisweilen sehr lose schleifen, zumal auch manche der Gesprächspartner nicht abgeneigt sind, zu eigenen Eitelkeiten hin zu driften. Doch bevor Johnson am Horizont verschwindet, kriegt er verlässlich die Kurve. Wer sich der assoziativen Geographie des Films anvertraut, wird mit einer facettenreichen Kulturgeschichte einer Landschaft ausgehend von Uwe Johnson beschenkt.

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