Berlinale „Bait“: Zappelnde Fische, fliegende Fäuste
Klassenkampf in Schwarz-Weiß: „Bait“ ist ein Kitchen-Sink-Drama des britischen Regisseurs Mark Jenkin über ungleiche Lebensbedingungen.
![Zwei Männer stehen in einem Raum und gucken nach draußen, die Szene ist schwarz-weiß Zwei Männer stehen in einem Raum und gucken nach draußen, die Szene ist schwarz-weiß](https://taz.de/picture/3246971/14/bait.jpeg)
Barthaar, dichtes Barthaar. Die zischende Gischt, ein tuckernder Fischkutter, hin und her geschüttelt von den Wellen wie eine Nussschale, ein Südwester wird vom Hacken in einem Schuppen an der Hafenmole genommen. Nein, er wird eher heruntergerissen im Brast. „Bait“ (Köder) heißt das neue Werk des britischen Regisseurs (und Filmwissenschaftlers) Mark Jenkin und die Welt der Fischerei spielt hier eine tragende Rolle.
In schneller Folge, fast wie in einem Flicker-Film, sieht man karge Verrichtungen aus der Arbeitswelt, in einer Ästhetik, die nichts beschönigt. Jenkin gelingt mit „Bait“ einer der Überraschungsfilme der Berlinale 2019. Wobei, der britische Film hat in Berlin eigentlich einen schweren Stand. Kein Vergleich mit der Präsenz von Werken der Grande Filmfördernation Frankreich. Lange galt: Wer was werden will im britischen Kino, muss irgendwann nach Hollywood wechseln.
Mark Jenkin ist in Cornwall geblieben und unterrichtet an der Universität Falmouth. In Cornwall sind alle seine Werke angesiedelt, auch sein neuer Spielfilm: Er spielt in einem Fischerdorf an der Küste. Die Einheimischen sind untereinander zerstritten: Die einen setzen auf Tourismus als Einnahmequelle, die anderen mühen sich mit der Fischerei ab.
In „Bait“ verläuft dieser Zwist durch eine Familie. Die Gebrüder Martin und Steve Ward sind abhängig von der See. Martin versucht, als Fischer am Ball zu bleiben, kämpft mit immer magereren Erträgen und schlechtem Equipment, während Steve den alten Kutter des Vaters zum Ausflugsdampfer umgestaltet hat, die stumpfen Party-Touristen an Bord wie die Pest hasst und seinen Bruder gleich mit. Auch Neil, Martins Sohn, muss mithelfen. Aber es reicht vorne und hinten nicht. Das alte Haus ihres Vaters ist zu einer „Cottage“-Ferienwohnung umgestaltet, im Besitz der Hauptstadt-Familie Leigh, die Eheleute Tim und Sandra und ihre beiden Kinder tragen den Upperclass-Weltekel schon im Gesicht.
Geld spielt eine wichtige Rolle
„Bait“ findet für die ungleiche Verteilung von Wohlstand eine sehr poetische Erzählform: Brachiale Schnitte, blitzartige Rückblenden, Dialoge, die abrupt gegeneinander geschnitten werden, erzeugen einen Sog. Eingerahmt ist die raue Welt an der Küste Cornwalls mit grobkörnigen Bildern, gedreht in 16mm-Schwarz-Weiß-Format von einer Bolex-Kamera.
Der Regisseur hat in einem Interview erzählt, er mag das Geräusch der Bolex, dann weiß er, das Drehen kostet Geld. Man hört ihr Surren auf der Tonspur, dadurch wirkt „Bait“ rudimentär. Und seine rudimentäre Form treibt die Erzählung vor sich her. Wir sehen ein Seil, das zu einem Seemannsknoten vertäut wird. Sinnbild für die Figuren, die auf Gedeih und Verderb miteinander verknüpft sind.
Löchrige Fischernetze, die repariert werden müssen, manche Szenen werden nur angedeutet, weggeblendet. Der Anker als Türschmuck am Cottage, Galionsfiguren an der Wandtäfelung im Pub, Gummipoller am Kai, kabbeliges Brackwasser, aber auch Hummer im Topf und Weißwein im Glas und wir ahnen, das hier geht nicht gut aus. Irgendwann fliegen die Fäuste.
17.2., 14.30 Uhr, CinemaxX 6
Geld spielt eine wichtige Rolle in dem Film. Martin spart, damit er sich einen neuen Kutter kaufen kann. Den Leighs ist das egal. Sie verlangen von Martin, er solle seinen verbeulten Pick-up-Truck gefälligst woanders parken als vor ihrem Feriendomizil. Geht aber nicht, das Auto hat von der Polizei eine Parkkralle bekommen. Der Strafzettel ist zu teuer. Autos markieren hier den Klassenunterschied: Der Landrover „Discovery“ der Leighs, man sieht nur das „Very“ des Schriftzugs, versus der abgeranzte Toyota von Martin, die vordere Stoßstange hat Löcher.
Die Mühsal der Arbeitswelt fließt methodisch in die Dialogszenen ein: Wie behutsam die zappelnden Fische aus dem Netz gefieselt werden müssen, damit es nicht zerreißt. Mark Jenkin gelingt es, etwas Spirituelles in den Bildern unterzubringen, als würden die Seeungeheuer in den Bildern an der Wand im Pub lebendig werden und schützend in die Handlung eingreifen. Als hätte die dickschädelige Art der Locals gegen die Gutsherrenart der poshen Outoftowners eine Chance.
„Bait“ mischt die Kammerspiel-Beschaulichkeit von alten britischen Kitchen-Sink-Dramen mit der strengen Ästhetik eines Robert Bresson: Wie beim Billard wird hier über Bande gespielt und etwas Neues angestoßen. Und vom Meeresboden ruft der Geist von Nicolas Roeg. Den unheimlichen Rest erledigt der subkutane Drone-Soundtrack mit einem Harmonium als tragendem Instrument.
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