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■ Berlinale-AnthropologieExpertenrunde

Heute ausnahmsweise nicht aus Stuttgart, unsere Kultur- Diskussion, sagt der Moderator Ah. in sein Mikrophon, ein kleines schwarzes Dingelchen auf elegant gebogenem Stengelchen, sondern, „Sie hören es wahrscheinlich bereits, meine Damen und Herren“, mitten aus dem Trubel der Berlinale. (Dabei ist der Trubel eigentlich ein begrenzter, die Geräusche der nächsten Hotelbar; endlich war ich in das piranesihafte Labyrinth des Interconti weiter vorgedrungen.)

Als ersten Gesprächspartner begrüßt Moderator Ah. den deutschen Regisseur Beh., dessen neuester Film im Wettbewerb läuft, ein großer schwerer Mann im tiefschwarzen Outfit des Kulturschaffenden (Ah. trägt auch ein schwarzes, kostbar-elegantes Hemd, dazu aber einen dunkelgrauen Zweireiher).

Der Regisseur Beh. unterstreicht, daß sein Film, statt von einer künstlichen Welt – wie der dieses Hotels hier; er fährt mit den Augen über die holzgetäfelten Wände ringsum – von der Wirklichkeit der Bundesrepublik handele, ihrem ganz normalen Alltag, also den Arbeitslosen. Der Moderator Ah. möchte wohlwollend assistieren, einer der Darsteller im neuen Film des Regisseurs Beh. spiele ja auch bei Mike Leigh mit: Ob Mike Leigh mit seinen Underclass-Filmen „auch ein bißchen“ das Vorbild des Regisseurs Beh. sei?

Überlegen lächelnd weist der Regisseur Beh. darauf hin, daß jener Schauspieler nie bei Mike Leigh, wohl aber bei Ken Loach aufgetreten sei, und der Moderator Ah. lächelt geschmerzt zurück. (Bei den Radiohörern „draußen im Lande“, denkt die Essayistin Deh., gehört mit diesem Irrtum der Moderator Ah. zur künstlichen, asozialen Welt der Hotelbar, während der Regisseur Beh. mit seiner Korrektur – Loach statt Leigh – sein politisches Engagement in der Wirklichkeit bekräftigt.)

Dann ist der Film-Archäologe Ceh. dran, der mit dem hellen Fanatismus des Philologen von den Such- und Rekonstruktionsarbeiten erzählt, welche die Pabst-Retrospektive erforderte. Wo verschollene Filmrollen aufgespürt wurden; wie die umfassende Präsentation des Werkes vermutlich den Ruhm des auteur Pabst gefährde, weil man auch den Durchschnitt zu sehen bekomme (solche Relativierung dank seines Eifers liebt auch in der Literatur der Philologe). „S.O.B.“, Standard Operational Bullshit, ging der Essayistin Deh. durch den Kopf, der letzte Film mit William Holden, worin er einen Filmregisseur gibt. Dann kommt der Archäologe Ceh., der gleich weiter muß, um eine weitere Pabst- Präsentation zu präsentieren, auf die Fortschritte in der musikalischen Begleitung von Stummfilmen zu sprechen, welche die letzten Jahre verzeichnen; der junge Mensch von der Musikhochschule erweist hier sein durchaus erstaunliches Engagement (das ich, im Lauf der Jahre immer stärker zum Reaktionären inklinierend, dem protzig-folgenlosen Engagement des Regisseurs Beh. für die Arbeitslosen vorziehe).

Dann ist die Essayistin Deh. dran. Die ganze Zeit verharrte sie in Angst, der Moderator Ah. könnte sie, die für eine Tageszeitung eine tägliche Kolumne über die Berlinale verfaßt, enttarnen, weil sie viel mehr Arbeit auf das Schreiben als auf die Berlinale verwendet, sämtliche Premieren, Empfänge, Pressekonferenzen, Partys versäumt, um am Schreibtisch zu fieseln.

Doch kriegt die Essayistin Deh. dann mühelos einige der großen Bögen zustande, für die sei einbestellt wurde, das deutsche Kino als Dauerpatient, dem wir Engelsgeduld entgegenbringen; die alten Stars – Jane Russell, Kim Novak –, um die wir uns versammeln wie Muttergottheiten, die ewiges Leben spenden; das Kino im Stadium des Museums und der Philologie, wie es soeben der Archäologe Ceh. so eindrucksvoll verkörperte.

Zum Schluß der Kritiker Eh. Müde evoziert er noch einmal das Desaster von Bernard- Henri Levy (wobei er – wie der Moderator Ah. Loach und Leigh – die Vornamen des Philosophen durcheinanderbringt), Zuckerpuppe vögelt Hemingway zum Schreiben frei, und preist demgegenüber die verhaltene Erotik eines frühen Pabst-Films mit Pola Negri (musikalisch begleitet von diesen engagierten Jungmenschen). Dann ist die Radio-Diskussion überstanden, auch ich stoße dazu und entwickle gemeinsam mit der Essayistin Deh. durchdringend den Gedanken, wie durchdringend die Berlinale von Ritualen des Schauens und Redens beherrscht sei, von Wiederholung statt Innovation. Michael Rutschky

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