piwik no script img

Berlinale – WettbewerbFreigeister, Nacktbader, Ausprobierer

Eine paradiesische Ordnung? Thomas Vinterberg zeigt im Kommunen-Drama „Kollektivet“ sein besonderes Gespür für Eskalationen.

Winke, winke: Kommune in „Kollektivet“. Foto: Thomas Vinterberg/Berlinale

Dass der Wechsel von einem Lebensmodell in ein anderes nicht unbedingt Segen bringt, das müssen Erik (Ulrich Thomsen) und Anna (Trine Dyrholm) in Thomas Vinterbergs Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Kollektivet“ erfahren. Am Anfang steht eine zunächst harmlos wirkende Anmerkung Annas.

Als beide, die bekannte Nachrichtensprecherin und der Architekturdozent, über ihre Zukunft sprechen – demnächst soll das große 450-Quadratmeter-Haus aus Eriks Familienbesitz bezogen werden –, bemerkt sie: „Aber es ist, als hätte ich alles schon einmal gehört.“

Gemeint ist die warme Routine, die sich über die Jahre zwischen den beiden entwickelt hat, die zudem eine pubertierende Tochter, Freja (Martha Sofie Wallstrøm Hansen), großziehen. Sie scheint zu stimmen, die Partnerschaft, doch Anna sehnt sich nach anderen Menschen, nach Inspiration und Unkonventionellem.

Und die Zeit spielt ihrem Wunsch entgegen. Vinterberg (“Das Fest“, „Die Jagd“), bekannt seit Gründung des Dogma-Zirkels, verlegt sein Kommunendrama – vielleicht trifft es „Familien-“ oder „Ehedrama“ sogar besser – in die siebzige Jahre. Die Idee, Fremde, Alleinstehende, Freunde und Paare in die Villa einziehen zu lassen, wirkt zwar auch für den eher bürgerlich programmierten Erik ungewohnt, doch lässt er es auf einen Versuch ankommen.

Schnell ist eine neue, beinahe paradiesische Ordnung etabliert. Vinterberg zeigt sympathische Freigeister beim gemeinschaftlichen Einkauf in Kopenhagener Straßen, bei großen Abendessen, bei „Wie geht es dir?“-Runden und beim gemeinsamen Nacktbaden.

Nur dezent webt der dänische Regisseur Elemente ein, die von der Fragilität der Kommune künden. Sie geht vor allem von dem Gründerpaar aus. Anna lässt Kontaktversuche Eriks unbeantwortet, man beginnt, sich aus den Augen zu verlieren.

Plötzlich tritt Emma (Helene Reingaard Neumann) in Eriks Leben – mit den Worten: „Ich kann sehen, wer du bist. Und den mag ich.“ Emma ist seine 24-jährige Studentin. Nun ist es an Anna, die von Erik stillschweigend eingeforderte Toleranz zu erwidern. Der Bruch, den Vinterberg sehr subtil bereits zu Beginn von „Kollektivet“ angelegt hat, tritt jetzt offen zutage

Kollektivet bei der Berlinale

18. 2., 9.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, 18. 2., 12.15 Uhr, 17.30 Uhr und 21. 2., 14.30 Uhr, Friedrichstadtpalast

Es ist sein besonderes Gespür für Eskalationen, das Thomas Vinterberg, im Übrigen auch für das Drehbuch verantwortlich, bereits in früheren Filmen bewiesen hat, und das in „Kollektivet“ den Raum bekommt, den der Zusammenbruch eines Traums benötigt. Wie der Traum lautet? „Es soll allen möglich sein, gut in diesem Haus zu leben.“ So zumindest Annas Anspruch, den die Wirklichkeit nicht erlaubt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!