Berlinale – Forum: Barock ist besser
„Le fils de Joseph“ strahlt im Berlinale-Forum. Regisseur Eugène Green transformiert Kulturkritik gewohnt gut ins Komische und Absurde.
Vom Boden der Tatsachen zur Stimme Gottes reichen die Bilder, Dialoge, Gedanken in Eugène Greens „Le fils de Joseph“: ein ganz weites Feld. Der Boden der Tatsachen: Füße in Schuhen, stehend und gehend, insistent und immer wieder gefilmt, als gäbe es kein Oben; dabei ist das Oben mehr als präsent, ohne Gott geht es bei Green, der das Barock entschieden der Gegenwart vorzieht, ganz sicher nicht.
Bunt durcheinander gewürfelt sind freilich das Alte Testament und das Neue. Der Teenager Vincent hat eine originalgroße Kopie von Caravaggios dramatischer „Opferung Isaaks“ an der Wand, wie man das als spätbarocker Teenager eben so hat. Mit seinem schicksalhaft gefundenen Freund (und dann Vater) Joseph diskutiert er, ob Abraham Gottes Stimme gehorchte oder nur dem eigenen Stolz. Es war der Stolz, so Joseph, dem dann die wahre Stimme Gottes erst Einhalt gebot.
Es geht aber auch um Spermahandel im Internet. Ebensowenig fehlt krude Pariser Literaturbetriebssatire, in deren Rahmen Mathieu Amalric zwischen Prix Conlong und Chaiselonge die Sau rauslassen darf. Ebenfalls im Programm: ein Kirchenbesuch mit Poesie und Musik, dass einem vor Glück das Hören und Sehen vergeht.
Gefilmt ist das wie stets bei Eugène Green: Die Darsteller suchen den direkten Weg auf die Kamera zu, gehen in tanzartigen Mustern, stehen und blicken frontal, sprechen wie unmittelbar zu Zuschauer und Gegenüber. Du und ich, wir sind seltsam direkt adressiert, da bringt uns auch die weit ins Manierierte hinein überdeutliche Artikulation aller Sprecher nicht wieder auf Distanz. Sie sprechen, als würden sie rezitieren, hochgestochen und ernsthaft; alle tun das, auch Eugène Green, der in einer wunderbaren kleinen Rolle als Hotelportier – also Mittelsmann, also eine Art Engel – wie üblich selbst mitspielt.
Aber Rezitation und Herzensaussprache stehen bei Green einander niemals im Weg. Wer rezitativ artikuliert, dem geht vielmehr das Herz auf. Und niemand spricht, spielt, blickt inniger, seelenvoller als Natacha Regnier, die Mutter Vincents, eine Krankenschwester mit Namen Marie.
Zum Heulen schön ist, wie sie spricht. Aber auch der junge Victor Ezenfis ist auf Anhieb ein Großer in Green’scher Manier. Und alle kreisen sie um die Frage des Vaters, die Frage der Abstammung. Die These ist klar und antibiologistisch: Zum Sohn ist keiner geboren, Väter kann man finden und adoptieren – wie eben Joseph, der zu Jesu Vater nicht durch Zeugung, sondern durch das Treten an Vaters statt, aber dann vollgültig wurde.
Mit der Gegenwart kann Green wenig anfangen
Eugène Green meint das alles übrigens ganz und gar ernst. Er ist ein sehr gebildeter und auf weiten Feldern bewanderter Mann. In seinen Traktaten zu barockem Theater, französischer Artikulation und in seinen Romanen tritt einem ein Autor und Gelehrter entgegen, der mit der Lage der Dinge in der Gegenwart wenig anfangen kann. In seinen Filmen jedoch gelingt ihm verlässlich eine wundersame Transformation der Kulturkritik ins Komische und Absurde. Das Grobe und das Feine sind da eigentümlich ineinandergewebt. Vom verlorenen Posten, auf dem er sich weiß, stellt er sich frontal allen Frivolitäten gegenüber und flirtet, auf seine Art, eben auch mit dem Frivolen.
Green erlaubt sich alles und kennt einfach nichts. Wenn zum Ende dann noch ein Esel, halb von Robert Bresson, halb aus der Bibel, mit der heiligen Familie in Richtung Meer ziehen muss – dann geht aus heiterem Himmel auch das. Vor allem hat der komische Heilige Eugène Green aber eine filmische Form gefunden, die im weiten Rund der Weltkinodinge recht einzigartig dasteht. Er stellt damit das Kino Füße voran auf den Kopf.