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BerlinUm vier Jahre verschätzt

Schon wieder liegt Klaus Wowereit bei einem Termin so richtig daneben: Bis 2016 wollte er den Haushalt ausgleichen. Jetzt klappt es viel schneller.

Sonnt sich im Erfolg: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit Bild: Steffi Loos/dapd

Klaus Wowereit hat eins seiner zentralen Ziele als Regierender Bürgermeister Berlins erreicht: Einen Überschuss im Landeshaushalt. Eigentlich hatte der SPD-Politiker einen ausgeglichenen Haushalt erst für das Jahr 2016 vorgesehen. Doch jetzt hat es überraschend schon 2012 geklappt. Der Überschuss liegt dank kräftig sprudelnder Einnahmen bei 315 Millionen Euro.

Das Geld hat der Senat verwendet, um Schulden zurückzuzahlen, deren Höhe nun noch bei 62,6 Milliarden Euro liegt. Im Jahr davor musste Berlin noch noch neue Schulden in Höhe von 1,16 Milliarden Euro aufnemmen.

Der wichtigste Grund für den aktuellen Überschuss: Laut Statistischem Landesamt haben in Berlin 1,76 Millionen Menschen Arbeit (PDF), so viele waren es seit der Wiedervereinigung noch nie. Dementsprechend sprudelt die Einkommensteuer. Und weil die Berliner ihren Lohn auch wieder kräftig in den Geschäften ausgeben, steigen die Einnahmen aus der Umsatzsteuer. In nur einem Jahr stiegen die Steuereinnahmen um 1,5 Milliarden Euro.

Erhebliche Kraftanstrengung

Wowereit war im Jahr 2001 angetreten, um die maroden Finanzen Berlins zu sanieren. Gemeinsam mit seinem langjährigen Finanzsenator Thilo Sarrazin setzte Wowereit einen strikten Sparkurs durch. Zum Beispiel stieg Berlin trotz erbitterten Widerstands der Gewerkschaften aus der Tarifgemeinschaft der Länder aus. Das hieß: Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst verdienten in Berlin schlechter als anderswo. Es war eine erhebliche Kraftanstrengung für Wowereit, diesen Sparkurs auch innerhalb seiner eigenen Partei durchzusetzen. Doch jetzt zeigt sich: Wowereits Plan ist aufgegangen.

Während seiner Amtszeit war Berlin nur im Jahr 2008 ein größerer Überschuss gelungen - die Ursache dafür war aber ein einmaliger Effekt: Der Verkauf der Landesbank. Diesmal musste Berlin kein Tafelsilber abstoßen, um schwarze Zahlen zu schreiben. Im Gegenteil schlug sogar das Flughafen-Desaster mit 444 Millionen Euro zu Buche. Ansonsten wäre der Überschuss sogar noch größer gewesen. Auch in den nächsten Jahren kann der Flughafen alleine den Haushalt nicht zum Absturz bringen. Selbst wenn noch einmal zwei Milliarden Euro zusätzlich nötig werden wollten, um den Bau zu sanieren, bevor er in Betrieb gehen kann - das Geld verteilt sich auf drei Eigentümer und mehrere Jahre.

Ob Berlin jetzt jedes Jahr einen Überschuss macht, kann niemand absehen. Es hängt vor allem von der Konjunktur ab und wie die Wirtschaft in der Stadt sich weiter entwickelt. Derzeit steigt die Zahl der Jobs jedenfalls so stark wie in keinem anderen Bundesland. Andererseits startet Berlin aber auch von sehr niedrigem Niveau - die Arbeitslosigkeit liegt hier immer noch weit über dem Bundesdurchschnitt.

Überschüsse jetzt regelmäßig möglich

Im langfristigen Trend sieht es jedenfalls gut aus für die Landesfinanzen. Vor allem, weil der Senat die Ausgaben relativ konstant gehalten hat. Gut möglich also, dass die Politik in Berlin nun häufiger vor einer ganz ungewohnten Frage steht: Wohin bloß mit den ganzen Überschüssen?

"Wir werden damit weiter Schulden tilgen", sagt Christian Goiny, Haushaltspolitiker der CDU-Fraktion. Die rot-schwarze Koalition wolle, dass die Ausgaben jährlich nur um 0,3 Prozent steigen. Wenn man an einer Stelle mehr Geld ausgeben wolle, etwa bei der Bildung, müsse das an anderem Ort gespart werden, betont Goiny. Es sei "langfristig möglich", dass Berlin seine Schulden zurückzahlt. Das sei auch nötig, weil jedes Jahr rund zehn Prozent der Gesamtausgaben für Zinsen bezahlt werden müssen. Goiny: „Da tränen einem die Augen, wenn man sich überlegt, was wir sonst mit diesem Geld alles machen könnten.“ Dem Land müsse es gelingen, seine Finanzen selbst in den Griff bekommen. Goiny: "Es ist nicht unser Anspruch, dass Berlin dauerhaft auf Kosten der anderen Bundesländer lebt." Wenn Berlin im derzeitigen Tempo weitertilgt, ist die Stadt in 198 Jahren und 9 Monaten schuldenfrei.

Die Opposition im Landesparlament will stattdessen das Geld mit vollen Händen in der Stadt verteilen. Die Grünen würden, wenn die Einnahmen es hergeben, am liebsten die Ausgaben um bis zu 700 Millionen Euro erhöhen. 100 Millionen für Infrastruktur, etwa die Sanierung von Schulen und Straßen. 300 Millionen für die Angestellten und Beamten, um deren Bezüge an andere Bundesländer anzugleichen. 200 Millionen Euro für sozialen Wohnungsbau. Und 100 Millionen Euro für die Hochschulen. Nur dann, wenn auch dann noch Geld übrig ist, soll es in den Schuldenabbau gehen. Obwohl die Grünen auch an dessen Sinn zweifeln. "Eine durchgreifende Entschuldung ist nicht möglich", sagt der Grünen-Finanzpolitiker Jochen Esser. Stattdessen müssten Bund und Länder einspringen, um Berlin zu helfen.

Piraten wollen Mieten senken

So sehen es auch die Piraten. Der Haushaltspolitiker Heiko Herberg fordert, mit den 315 Millionen Euro Überschuss aus dem Jahr 2012 nicht etwa Schulden abzubauen, sondern sie auszugeben: Für Kitaplätze, für die Schulen, für Kultur, Verkehr, Stadtentwicklung. Und natürlich für bezahlbare Mieten. Dauerhalft sollte das Ausgabenniveau nach Ansicht der Piraten um 600 Millionen Euro steigen.

Auch die Linken wollen künftige Überschüsse ausgeben, statt mit dem Geld Schulden zurückzuzahlen. „Es gibt dringende Aufgaben im Land zu erledigen“, sagt die Haushaltspolitikerin Manuela Schmidt. 100 Millionen pro Jahr bräuchte es, „um die Verdrängung der zahlungsschwächeren Mieter aus den Innenstadtbezirken zu stoppen.“ Außerdem sollte der Mindestlohn bei Aufträgen des Landes auf 8,50 Euro erhöht werden. Schmidt: „Eine Stadt ist nur dan lebenswert, wenn die Leute von dem Geld leben können, dass sie verdienen.“ Außerdem will die Linke investieren - nicht nur in Infrastruktur, sondern auch in soziale Träger sowie die Qualifizierung und Weiterbildung der Landesbediensteten. "Investitionen bedeuten, auf lange Sicht zu sparen", so Schmidt, „das rentiert sich doch viel stärker.“

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7 Kommentare

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  • SH
    Sebastian Heiser

    lalala: Die Kosten für den Flughafen verteilen sich auf mehrere Jahre und mehrere Eigentümer (Berlin, Brandenburg und der Bund). Im vergangenen Jahr gab es wegen des Flughafendebakels 444 Millionen Euro Zusatzkosten für Berlin. Bei Gesamtausgaben des Landes von rund 22 Milliarden Euro sind das im Verhältnis gerade einmal zwei Prozent. Viel entscheidender für die Frage, ob Berlin neue Schulden aufnehmen oder alte zurückzahlen kann, ist es, wie sich die Einnahmen entwickeln. Die Einnahmen schwanken nämlich von Jahr zu Jahr um mehrere Milliarden Euro, wie Sie hier ganz gut sehen können:

    http://www.berlin.de/imperia/md/content/senatsverwaltungen/finanzen/haushalt/finanzplanung_2012_bis_2016_einnahmen_und_ausgaben.pdf?download.html

  • L
    lalala

    soll dieser Artikel ein schlechter Witz sein?

    was ist mit den " Milliarden " mehr Kosten für den BER ??

  • S
    Sam

    Meinen Glückwunsch, Herr Wowereit! Geht doch!

    Und absolut richtig, das Geld zur Schuldtilgung einzusetzen und nicht schon gerade wieder auszugeben.

    Ok, Berliner Schulen, Kitas etc. benötigen dringend Geld. Daher, liebe Abgeordnete auch von den Grünen, Linken, Piraten: Kürzt doch mal eure Bezüge oder verkleinert das Abgeordnetenhaus, das als Parlament für Berlin im Vergleich recht groß asfällt. So lassen sich schnell noch etliche Millionen zusätzlich sparen. Aber da könnt leider nur ihr selbst drüber entscheiden...

    Aber wie gesagt: Super Wowereit!

    @taz: Ich kann mich Lechner nur anschließen. Schön, dass ihr neben dem ganzen Wowereit-bashing als einzige diesen seriösen und ehrlichen Artikel veröffentlicht. Super taz!

  • SH
    S. Heiser

    Wernero: Die Autobahn zahlt der Bund.

  • W
    wernero

    Super! Jetzt müssen wir Wowereit nur noch die nächsten 140 Jahre an der Macht halten und schon ist Berlin ratz-fatz schuldenfrei! Nur Kleingeister werden sich dann über die zu Staub zerfallene Infrastruktur aufregen. Und darüber, dass 2013 nur eine löbliche Ausnahme war, denn 2014 kamen schon wieder neue Schulden wegen des komplett bescheuerten Autobahnprojekts und wegen des aus dem Ruder gelaufenen Flughafenbaus dazu...

  • C
    Cliff

    Zugegeben ist das mal ein Termin, bei dem ich das total klasse finde, dass er verpasst wurde.

     

    Ich gehe da übrigens nicht mit der hier dargestellten Meinung meiner Grünen konform. Schuldentilgung ist wegen zukünftiger weniger Zinsen, die dann toll für sinnvolle Dinge ausgegeben werden können, höchst wichtig. Aber nun, ich bin ja nur ein kleines Mitglied ohne Amt und Würden.

  • L
    Lechner

    Liebe Taz, ihr seid offenbar die letzte unabhängige Zeitung in Deutschland!

    Während sich alle anderen Zeitung ausschließlich in wilder Wowereit-Anklage und BER-Bashing überschlagen, schreibt ihr einen fundierten, sachlichen Artikel über einen wirtschaftlichen Erfolg von Wowereit/Nußbaum.

     

    Das ist cool und motiviert mich, für Online-Artikel zu bezahlen.