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Berlin rechtfertigt Auflösung einer Sitzung im CafeSturmhauben machen verdächtig

Der Innensenator rechtfertigt den Polizeieinsatz gegen Studenten vor einem Kreuzberger Café.

Keine Selbstkritik, geschweige denn ein Zeichen des Bedauerns: Nach Meinung von Polizeipräsident Dieter Glietsch und Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ist der Polizeieinsatz im Café Simitdchi am 15. Mai in der Adalbertstraße in Kreuzberg absolut korrekt abgelaufen. "Auch aus heutiger Sicht ist nichts daran auszusetzten", sagte Glietsch am Montag im Innenausschuss.

Nach Angaben des AStA der Freien Universität (FU) hatten sich im Cafe Simitdchi rund 20 Studierende mit einigen Journalisten getroffen, um über die Juni geplanten Bildungsstreiks zu sprechen. Die Gruppe habe vor dem Lokal gesessen, als die Tische plötzlich von behelmten Polizisten umstellten wurden. Alle Personen seien einzeln abgeführt und durchsucht worden, hieß es.

Am Montag stellte Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen, Polizeipräsident Glietsch und Innensenator Körting im Innenausschus zur Rede. Deren Antwort: Es sei eine Legende, dass der Grund des Treffens ein Pressegespräch gewesen sei. Gegenüber den Polizisten vor Ort sei kein Wort davon gefallen. Das sei "im Nachhinein konstruiert" worden, meinte Körting. Auch Glietsch rechtfertigte das Vorgehen seiner Beamten: "Die Einschätzung war, dass es sich um eine nicht angemeldete Versammlung handelte, die möglicherweise weitere Aktionen zur Folge haben könnte."

Die Bilanz des Polizeipräsidenten: 16 Personen wurden überprüft und mit einem Platzverweis versehen. Ferner wurden zwei Sturmhauben, ein Taschenmesser und eine Fahne sichergestellt und deshalb Strafanzeigen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und Waffengesetz gefertigt worden. "Sturmhauben werden bei einer Versammlung als Vermummungsmaterial gewertet", so die Erklärung eines Polizeisprechers.

Lux fasst das zusammen: "22 Menschen sitzen in der Außenanlage eines Cafés und haben eine rote Fahne dabei - das reicht für so einen Einsatz?" Die zwei Sturmhauben habe er unterschlagen, gab der Innenpolitiker der SPD, Tom Schreiber, dem Innensenator Rückendeckung. Das einzige, was die SPD in dieser Angelegenheit wissen wollte, war, ob der Polizeieinsatz auch in den Räumen des Cafes stattgefunden hatte. Keineswegs, beruhigte Glietsch. Lediglich im Außenbereich, wo die Personen "zum Teil auf Sitzgelegenheiten" gesessen, seien seine Beamten tätig geworden.

Kritik übte allerdings der Regierungspartner Linkspartei. Er halte den Einsatz für "ausgesprochen übertrieben", erklärte Innenpolitiker Udo Wolf. Seine Kritik gilt im übrigen nicht nur für den Polizeieinsatz vor dem Cafe. Seit den Krawallen am 1. Mai beobachte er bei der Polizei die Tendenz, in alte Zeiten zurückzufallen, so Wolf nach dem Innenausschuss zur taz. "Weg von der erfolgreichen Deeskalationsstrategie hin zu Repression - das ist kein guter Weg".

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3 Kommentare

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  • R
    RedHead

    Demnächst: Ich laufe zusammen mit 4 Freunden durch Berlin. Plötzlich Tränengasgeruch. Um uns herum Polizei mit vorgehaltener Pistole. Verstärkung wird angefordert, nachdem Passanten die Vermutung geäußert haben, jemand hätte ein Taschenmesser dabei. Eine GSG-9-Einheit seilt sich mit Maschinenpistolen aus einem Hubschrauber ab und schießt uns allen zur Warnung ins Bein. Noch bevor wir im Krankenhaus den Vorwurf erfahren melden sich die ersten Politiker zu Wort und fordern entschiedeneres Vorgehen gegen Linksradikale Gewalttäter, werden dabei von den Medien unterstützt. Es stellt sich heraus, dass kein Taschenmesser gefunden wurde, dafür aber eine Flasche Bier und ein Feuerzeug. In Berlin gibt es Tankstellen, wir haben offenbar versucht, eine unangemeldete Versammlung durchzuführen und dabei Molotov-Cocktails auf Polizisten zu werfen, ein Gerichtstermin für das Strafverfahren u.a. wegen versuchten Mord wird für das Jahr 2011 angesetzt, aufgrund der Fluchtgefahr bleiben wir bis dahin in Gewahrsam. Im Verlauf der Beweissicherung wird per Bundestrojaner Kinderpornographie auf die Rechner der Angeklagten kopiert (korrigiere: "gefunden"), die Linke Szene verweigert seitdem jede Solidarität. Einzelne Gruppen fordern sogar Kastration. Im Jahr 2015 befindet ein Berufungsgericht den Vorwurf des Mordversuches für nicht haltbar. Der vorsitzende Richter wird aufgrund linksterroristischer Aktivitäten von Antiterroreinheiten des Militärs erschossen...

    ===the end===

     

    Happy Birthday, Schweinesystem!

  • KK
    Karl Kraus

    Interessante Argumentation, das mit den gefundenen Gegenständen. Die Festnahmen waren im Augenblick der Aktion durchaus nicht gerechtfertigt. Das Übergehen dieser Feinheit auch durch die Politiker zeigt gewisse Entwicklungen: Die Präventionslogik sitzt schon sehr tief.

    Zu Beginn des Ganzen stand die Festnahme einer Gruppe von Personen, die sich vor diesem Café nichts, aber auch gar nichts zuschulden hatten kommen lassen. Dann die Festnahme, bei der man sich fragt, warum da plötzlich die Polizei auftauchen kann. Woher wusste sie davon? Und dann die Reaktion in Politik und Medien: Es gab offensichtlich keine Anhaltspunkte dafür, irgendwelchen Schaden anrichten zu wollen, aber man fand halt Sachen - ein TASCHENMESSER (HALLO???), mordsgefährliche Sturmhauben und - ANGST!!! - eine Fahne) - und die Denker der Nation rechtfertigen damit im Nachhinein diese Aktion.

    Das ist die Logik der Diktatur, so leid es mir tut: Verhafte 100.000, es wird schon der Richtige dabei sein. Wenn nicht: Mach Wind und finde Gegenstände. Sodann verhafte weitere 100.000. Die Logik unseres erwachenden Angstfaschismus ist immer die völlige Ausblendung der Frage, ob der Übergriff selbst gerechtfertigt ist, und zwar VOR seiner Durchführung. Nebenbei: Im Laufe der Witschaftskrise ist es sehr ruhig um die zu vergasenden Hartz-IV-Schmarotzer geworden, die sonst immer die Opfer der Destruktion waren. Die kann man ja jetzt nicht mehr in den Staub treten, weil's - ätsch - bald auch den Oberstammtischspießer trifft. Recht prompt ändert sich die Medienlandschaft in Richtung Linksangst.

  • F
    FREDERICO

    Das beweist doch bloß wie weit diese Pseudosozen plus Salonkommunisten nach rechts abgedriftet sind.