Berlin muss heftig sparen: Nußbaum sucht die Milliarden
Schon Dienstag will Berlins Finanzsenator herbe Einschnitte präsentieren - unklar ist, welche. Opposition fordert konkrete Ideen. Grüne: Sozialausgaben dürfen kein Tabu sein.
Nächsten Dienstag könnte sich klären, ob und wie Berlin tatsächlich aus seiner Haushaltsmisere herauskommen will. Dann will Finanzsenator Ulrich Nußbaum voraussichtlich dem Senat seine Finanzplanung bis 2014 vorlegen. Bereits vor einem Jahr hatte Nußbaum tiefe Einschnitte angekündigt, allerdings ohne konkrete Bereiche zu nennen. Nun drängt die Opposition ihn, Klartext zu reden. Auffällig ist: Die SPD-Finanzpolitiker haben keine Ahnung, was der zwar parteilose, aber SPD-nahe Senator präsentieren wird. Die Grünen wollen vor allem die Verwaltung effizienter machen und Sozialausgaben überprüfen.
In einem sind sich Finanzpolitiker aller Parteien einig: So wie derzeit kann es nicht weiter gehen. Um den aktuellen 22-Milliarden-Euro-Haushalt für 2010 zu finanzieren, waren fast drei Milliarden Euro neuer Kredite nötig. Das heißt: Rund jeder achte Euro, den das Land dieses Jahr ausgibt, ist geborgt. Das Problem ist nicht, dass Banken keine Kredite mehr geben. Es sind die Zinszahlungen für inzwischen über 60 Milliarden Euro Schulden, die den Haushalt bedrohen - sie sind fast so groß wie die Summe, die sich das Land jährlich leiht.
Sie soll dafür sorgen, dass die Haushalte nicht völlig aus dem Ruder laufen: die seit 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. Sie untersagt es den Ländern ab 2020, neue Kredite aufzunehmen, dem Bund schon ab 2016. Berlin hatte sich bei der Abstimmung im Bundesrat wie Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein enthalten. Um den Übergang zu erleichtern, bekommen fünf Bundesländer von 2011 bis 2019 jährlich 800 Millionen Euro. Auf Berlin entfallen davon 80 Millionen. STA
Dazu kommt die Schuldenbremse im Grundgesetz. Sie verbietet es den Bundesländern ab 2020, neue Schulden aufzunehmen (siehe Kasten). Berlin hatte ihr im Bundesrat nicht zugestimmt. Und offen ist, ob die Lösung allein im Sparen liegt - vor allem die Linkspartei sieht vielmehr ein Einnahmeproblem und will mehr Geld vom Bund.
Nußbaum hatte vor einem Jahr in der mittelfristigen Finanzplanung - einer Art Rahmen für den eigentlichen Landeshaushalt - angekündigt, dass die jährlichen Ausgaben deutlich geringer als bisher geplant steigen sollten. Wegen der Inflation entsprach das einer tatsächlichen Kürzung von 230 bis 250 Millionen Euro pro Jahr.
Doch Nußbaums Spielräume sind eng. 2002 konnte Rot-Rot noch - gegen großen Widerstand - Milliarden sparen: mit dem Solidarpakt im öffentlichen Dienst und dem Ende der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau. Das hat sich verbraucht. "Die Rasenmäher-Methode geht nicht mehr", so Grünen-Haushälter Oliver Schruoffeneger, "wir müssen ran ans Klein-Klein."
Umso mehr will die Opposition wissen, wo Nussbaum denn das Geld herholen will. "Wenn er die Vorgaben der Schuldenbremse erfüllen will, dann muss er jetzt eine klare Kurskorrektur vornehmen", sagt CDU-Haushälter Florian Graf. Ginge es nach seiner Partei, würde der von Rot-Rot eingeführte Öffentlich geförderte Beschäftigungssektor, kurz ÖBS, wegfallen, was rund 80 Millionen Euro bringen soll. Kürzen würde die CDU zudem beim Quartiersmanagement. Beide Bereiche nennt auch die FDP, neben dem von ihr als "Einheitsschule" bezeichneten Projekt Gemeinschaftsschule.
Beide sehen aber genau wie die Grünen bei der Effizienz der Verwaltung gute Sparmöglichkeiten. In dieses Feld hat sich vor allem der Grüne Schruoffeneger eingearbeitet - und nahe liegende Fragen aufgeworfen. Wieso seien etwa in den Finanzämtern für die Hundesteuer doppelt so viele Leute eingesetzt wie nötig, während der Bereich der Betriebsprüfungen unterbesetzt sei, wo jeder Steuerprüfer im Jahr 900.000 Euro einbringt? "Vieles ist schlecht organisiert, jeder denkt in seiner kleinen Struktur statt auf ein gemeinsames Ziel hin", so Schruoffeneger.
Auch Karoline Linnert, grüne Finanzsenatorin im ebenfalls hoch verschuldeten Bremen, will erlebt haben, wie schlichte Reisekostenabrechnungen von sieben Stellen abgezeichnet werden mussten. Anders als ihre oppositionellen Berliner Parteifreunde hat sie es seit drei Jahren in der Hand, solche Dinge zu ändern. Ihr Rezept: Die wenigen Mittel besser einsetzen. Das lasse sich in der Öffentlichkeit auch verständlich machen, nicht aber schlichtes Streichen: "Heute das Theater, morgen das Pflegegeld, das schafft nur Angst", so Linnert bei einem Diskussionsrunde der Grünen am Dienstagabend.
Linnert sah viel Potenzial bei den Sozialausgaben: "Der Sozialstaat ist ineffektiv, verschwenderisch und entwickelt die Leute nicht weiter." Der Staat habe sich "freien Trägern in den Rachen geworfen", die den Bedarf steuern würden. Schruoffeneger wandte sich gegen ein Denkverbot - man dürfe nicht sofort des Sozialabbaus bezichtig werden, wenn man Dinge hinterfrage.
Damit ist er wie Linnert in diesem Punkt nicht weit von Finanzsenator Nußbaum entfernt. Das Land pumpe "ohne Kontrolle Geld in das System, ob das nun der Maserati ist, ob das Kitas oder Schulen sind oder Hilfen zur Erziehung", hatte er im Juli im taz-Interview gesagt. Von Filz wollte Nußbaum damals nicht explizit sprechen, wohl aber von einer ausgesprägten "Durchdringung der Strukturen mit den Trägern."
Das könnte zumindest ein Grund sein, warum Nußbaum die zuständigen Leute der SPD-Fraktion bislang über seine konkreten Ideen im Unklaren lässt, wie Stefan Zackenfels, haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion, berichtet: "Die Finanzpolitiker der SPD sind nicht in die Gedanken des Finanzsenators zur Finanzplanung eingeweiht." Nussbaums Sprecherin Kathrin Bierwirth versteht das nicht: "Es wäre mir neu, dass die nicht miteinander reden." Offenbar aber nicht über das Entscheidende.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen