piwik no script img

Berlin im Obama-Fieber„Yes we can“ trifft „Wir schaffen das“

70.000 Menschen wollen den ehemaligen US-Präsidenten am Brandenburger Tor reden hören. Auch Kanzlerin Merkel ist dabei.

Merkel, die Physikerin, und Obama, der Sozialarbeiter Foto: dpa

Berlin taz | Auf der Pressetribühne kämpfen Fotografen und Selfie-Jäger um das beste Bild. Schwer bewaffnete Sicherheitskräfte bevölkern die Dächer rechts und links des Brandenburger Tors. Hubschrauber kreisen über der christlichen Fanmeile. Es ist das Highlight des Evangelischen Kirchentags: Barack Obama, früherer US-Präsident, ist da um mit Angela Merkel über die Zukunft der Demokratie zu debattieren.

Berlin und Obama teilen eine besondere Beziehung. 2008 drängten sich 200.000 Menschen an der Siegessäule, um den jungen Senator sprechen zu hören. Der Präsidentschaftskandidat in ihm hatte sich den ganz großen Auftritt vor dem Brandenburger Tor erhofft, bekam von Angela Merkel aber nur die kalte Schulter zu sehen.

Am Donnerstag stehen sie zusammen vor dem Brandenburger Tor. „Yes we can“ trifft auf „Wir schaffen das“. Sie stellen sich den Fragen von Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au und dem Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm.

Es beginnt mit einem Rückblick auf die Präsidentschaft des ersten afroamerikanischen US-Präsidenten. Stolz blickt Obama auf die Errungenschaften seiner Amtszeit: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Regulierungen der Finanzmärkte und nicht zuletzt die „Krankenversicherungen für 20 Millionen US-Bürger“.

„Amerika ist nicht nur Trump“

Gleichzeitig ist er sich der neuen Schwierigkeiten bewusst, muss miterleben wie viele seiner Erfolge nun bedroht sind. Doch der 55-Jährige hat nicht genug. Mit seiner „Obama Foundation“ setzt er sich für die junge Generation von Mutbürgern ein. Sie fördern, unterstützen und mit Austauschprogrammen miteinander verbinden. „Mein Job ist es jetzt, jungen Menschen zum nächsten Schritt zu verhelfen“, verkündet er vor den rund 70.000 Menschen, die größtenteils schon seit den Morgenstunden ausharren, um ihn zu sehen.

Auch Lawrence war früh da. Er ist Afroamerikaner aus Chicago und als Stipendiat von Brot für die Welt in Berlin. Sein Afro sticht aus der Menge der Kirchentagsbesucher heraus. Der junge Mann, Mitte zwanzig, trägt ein dunkelblaues Sakko. Auch damit sticht er hervor. Er ist stolz auf sein Land, stolz auf seinen ehemaligen Präsidenten und schwenkt die kleine rot, weiß gestreifte Fahne mit den 51 Sternen drauf, die er mitgebracht hat.

Neben mir sitzt der lange Zeit ­mächtigste Mann der Welt, sagt Bedford-Strohm. „Neben Ihnen sitze ja erst mal ich“, sagt Merkel

„Die guten Beziehungen zwischen Deutschland und den USA, die während der Amtszeit von Obama entstanden sind, sind mir wichtig“, sagt er. „Amerika ist nicht nur Trump.“ Es gebe im Gegenteil viele, die nach wie vor hinter der Politik des ehemaligen Präsidenten stünden und nicht ganz einflusslos sind.

Auf der Bühne fällt der Name des derzeitigen US-Präsident kein einziges Mal, dessen fünf Buchstaben schweben aber wie ein Damoklesschwert über der Veranstaltung.

„Das Recht, Fehler zu machen“

Angela Merkel hat es anfangs sichtlich schwerer neben der Lichtgestalt Obama zu glänzen. Der willkommene Auftritt im Wahljahr startet für sie mit dem unangenehmsten Thema: Der sogenannten Flüchtlingskrise. Heinrich Bedford-Strohm erweist sich dabei als hartnäckiger Gesprächspartner. Redegewandt berichtet er von Briefen, die ihn täglich erreichen. Nachrichten von ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern, deren gut integrierte Schützlinge nun nach Afghanistan abgeschoben werden.

„Da muss man doch eine politische Lösung finden können, dass diese Leute bleiben können“, fordert er. Merkel springt in den Verteidigungsmodus: Türkei-Abkommen. Die Rettungsmission „Sophia“. Investitionen in Afrika.

Viel habe sich bewegt, sie fügt hinzu: „Auch ich habe das Recht Fehler zu machen.“ Es ist keine leichte Aufgabe, den Spagat zwischen Willkommenskultur und Ordnungspolitik, zwischen Nächstenliebe und Verantwortung, zu halten.

Barack Obama kennt diese Konfliktlinie und pflichtet der Kanzlerin bei jeder Gelegenheit bei. Sie habe Größe bewiesen in den letzten Jahren. Nachdem das Flüchtlingsthema abgeräumt ist, wirkt Merkel befreiter. Sorgt gar für den Lacher des Vormittags. „Neben mir sitzt der lange Zeit mächtigste Mann der Welt“, sagt Bedford-Strohm. „Neben Ihnen sitze ja erst mal ich“, sagt Merkel.

Die Physikerin und der Sozialarbeiter

Nach einer kurzen Pause sind es vor allem frische Gesichter, die neuen Schwung in die Debatte bringen. Vier Austauschstudierende aus Mannheim und Chicago können ihre Fragen stellen. Selbstbewusst sprechen sie Drohnenkriege, das Sterben im Mittelmeer und soziale Probleme an. Der Kirchentag ist ein politischer Ort, das wird hier deutlich.

Und mit Obama wie auch Merkel bringt er politische sowie religiöse Menschen zusammen. Einst verkündete Obama seine Kandidatur in einer Kirche in Selma, Merkel ist als Pfarrerstochter tief mit dem christlichen Glauben verbunden. Beide schöpfen auf ihre Art und Weise Kraft aus den Worten Gottes.

Kathrin und ihr Freund Thomas sind von der Kombination Merkel und Obama fasziniert. Merkel, die Physikerin und Obama, der frühere Sozialarbeiter. Kathrin schätzt nicht nur ihre Professionalität. „Wie sich Religion und das Wort Gottes als roter Faden durch ihr Leben zieht, finde ich toll.“ Vor der Veranstaltung hatte sie sich gewünscht, mehr über Obama zu erfahren.

Wer ist der Mann hinter der Fassade? Wie hat er sich verändert, seit er nicht mehr Präsident ist? Nach dem Anschlag in Manchester hatte sie etwas Angst vor der Massenveranstaltung. Sie kam trotzdem, ihre Erwartungen wurden erfüllt: Kurz nach Ende steht sie mit ihrem Freund neben der Bühne. Ihre Augen sind noch immer feucht.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare