: Berlin hat alles im Griff
■ Die Mauerstadt verfügt über das modernste Smog–Handling Europas / Von der ersten deutschen Smog–Klinik bis zu gemütlich ausgestatteten „Refreshing–Centers“
Berlin (taz) - Es ist Mittwoch, 4. Februar. Berlin versinkt zum 14. Mal in diesem Jahr in einer trüben Smogwolke. Die seit zwei Jahren installierten Smog–Frühwarnsysteme mit den neuentwickelten Low–Level–Sensoren (ein Geschenk der Salzgitter–AG) haben die heraufziehende dicke Luft rechtzeitig erkannt und über die Direktleitung den Umweltsenator informiert. Was jetzt abläuft, wurde von einem Hamburger Nachrichtenmagazin zurecht als das „modernste Smog–Handling Europas“ bezeichnet. Schon um 6.07 Uhr meldet die neue, eigens für die Luftüberwachung eingerichtete Service–Welle von Rias III den Voralarm und zwei Stunden später die Alarmstufe eins. In den Intervallen der Musikstücke erhält hier der Hörer die ausführliche Rund–um–die–Uhr–Smog–Information. Für Anfragen von Hörer/innen stehen zusätzlich zwei Spezialisten für Smog, ein Facharzt für Atemwegserkrankungen, ein Psychologe und je ein Seelsorger beider Konfessionen zur Verfügung. Auf den Berliner Straßen schnurren friedlich die Katalysator–Autos, während die BVG die preisgünstige „Smog–Dauerkarte für die ganze Familie“ verkauft. In der zum Jahresbeginn eingeweihten ersten deutschen Smog–Klinik in Wilmersdorf herrscht derweil Hochbetrieb. Die Aufnahme–Station ist verstärkt worden und erwartet den ersten Schub an spastischer Bronchitis. In der Pseudo– Krupp–Station wird noch ein Schwung Teddybären auf die einzelnen Kinderzimmer verteilt. An den zentralen Punkten der Berliner Innenstadt haben die „Refreshing–Centers“ eröffnet. In diesen modernen Sauerstoff–Zelten, die mit einem Zelt allerdings wenig gemeinsam haben, kann jeder Berliner Bürger gegen Vorlage der Smog–Kennkarte zweimal täglich kostenlos eine Sauerstoff– Dusche nehmen. Die AL hatte zwar gefordert, den Bürgern vier Sauerstoff–Schübe zu genehmigen, doch ihr Antrag wurde im Ausschuß für Emissionen und Luftschadstoffe von der CDU abgeschmettert. Auf dem Bahnsteig des Bahnhofs Zoo schieben sich Mütter mit ihren Kindern mühsam vorwärts. Der erste Smog–Sonderzug fährt in wenigen Minuten ab und bringt den ersten Schub von Kindern der Gefahrenklasse I in den Luftkurort Laboe an der Ostsee. Ein preisgünstigerer zweiter Zug fährt zwei Stunden später ab, Zielort Bad–Tölz. Zum vierten Mal in diesem Jahr sind auch die noch immer umstrittenen Windmaschinen an der Berliner Mauer eingeschaltet worden. Von der Wissenschaftlergruppe Smog der TU Berlin entwickelt, erzeugen sie kräftige Aufwinde und halten durch eine stabile Luftbarriere die Schadstoff–Lasten aus Ost–Berlin zurück. Gegen Mittag werden die NASA–Spezialisten erwartet, in Berlin längst „Wettermacher“ genannt, die erneut versuchen werden, mit ihrem „Air–Pollution–System“ (aps) Wolken über Berlin künstlich zu erzeugen und sie anschließend zu „impfen“, um sie zum Schneien zu bringen, was bisher aber fehlgeschlagen ist. Diesmal haben die NASA– Leute einen neuen Impfstoff mitgebracht. Der Berliner Umweltsenator ist deshalb guter Dinge: „Ich gehe davon aus, daß es diesmal klappt, dann haben wir den Smog endgültig im Griff.“ Es ist Mitwoch, 4. Februar 1992. Manfred Kriener
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