: Berlin gewinnt Flughafenpoker
Der Hauptstadt-Airport für 40 Millionen Passagiere jährlich entsteht bei Schönefeld. Standort in Brandenburg wegen zu hoher Kosten ausgeschieden ■ Von Hannes Koch
Berlin (taz) – Dem Bürgermeister des brandenburgischen Dorfes Diepensee wird angst und bange, wenn er in die Zukunft blickt. „Bitte nicht Schönefeld“, fleht Michael Pilz. Dann wettert er gegen den geplanten Ausbau des heutigen Provinzflughafens zum riesigen Airport für die Hauptstadt Berlin. „Unsere Lebensbedingungen würden sich stark verschlechtern“, so Pilz.
Die Dorfstraße von Diepensee beginnt 20 Meter hinter dem Zaun des Flugplatzes südlich von Berlin. Schon heute ist der Krach unerträglich, wenn die Urlauberjets starten. Dabei zählt der ehemalige DDR-Regierungsflughafen Schönefeld derzeit nur rund zwei Millionen Fluggäste jährlich.
Werden die Ausbaupläne der Investoren Wirklichkeit, soll die Passagierzahl bis auf 40 Millionen steigen. Ein „internationales Luftkreuz“ ist geplant – größer als die heutige Drehscheibe Frankfurt am Main. Das Dorf Diepensee würde dann in einer zwei Kilometer breiten Schneise zwischen der heutigen Startbahn und einer neuen Piste liegen, die man südlich vom Ort bauen will. Die Häuser wären im Norden, Westen und Süden von Flughafenbeton umschlossen. Eine Sackgasse „mitten im Krach“, so Pilz.
Die Stoßgebete des Bürgermeisters werden wohl nichts nützen. Nachdem sich die Bundesregierung, Berlin und Brandenburg jahrelang über den richtigen Standort gestritten hatten, zeichnet sich jetzt eine Entscheidung für Schönefeld ab. „Es gibt eine Tendenz in diese Richtung“, weiß Frank Zimmermann, Sprecher der Berliner Finanzsenatorin Annette Fugmann- Heesing (SPD). Inzwischen macht sich nur noch der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) für Sperenberg, 60 Kilometer südlich Berlins, stark.
Nach mißglückter Fusion steht Stolpe allein
Die Entscheidungsfindung wurde durch die am 5. Mai gescheiterte Fusion zwischen Berlin und Brandenburg beschleunigt. Die SPD- SenatorInnen in der großen Koalition Berlins hatten vorher Stolpe unterstützt, der der armen Region um Sperenberg zum Aufschwung verhelfen will. Nach der mißglückten Fusion jedoch besinnen sich viele Berliner SozialdemokratInnen auf das eigene Interesse. Schönefeld liegt näher zur Stadt, weshalb man sich mehr Arbeitsplätze erhofft. Dieser Meinung war Berlins CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen schon immer.
Ausschlaggebend sind im übrigen die Finanzprobleme der öffentlichen Haushalte. Bonn, Berlin und Brandenburg als Anteilseigner der Flughafen-Holding, die den neuen Airport betreiben soll, bringen die notwendigen Investitionen von rund zehn Milliarden Mark nicht zusammen. Besonders Bundesverkehrsminster Matthias Wissman (CDU) plädierte deshalb für das Konzept einer Firmengruppe.
Die ehemals bundeseigene Industrieverwaltungs-Gesellschaft, die Dresdener Bank, Daimler- Benz und die US-amerikanische Airport Group International bieten an, den Flughafen Schönefeld ausschließlich mit privatem Kapital auszubauen – ein bislang einmaliger Fall in der Geschichte bundesdeutscher Verkehrsprojekte. Öffentliche Subventionen braucht das Konsortium nämlich angeblich nicht: ein Versprechen, dessen Wahrheitsgehalt sich erst noch erweisen muß.
Zwar meldete sich auch für Sperenberg ein privates Konsortium aus Deutscher Bank und dem Baukonzern Philipp Holzmann. Doch die verlangt Subventionen von mindestens drei Milliarden Mark. Dafür sollte der Bund Straßen und Bahnlinien tief in die märkische Provinz bauen. „Ein schönes Privatisierungskonzept“, höhnte Verkehrsminister Wissmann unlängst, „das kann man billiger machen.“ Zum Flughafen Schönefeld führen bereits Straßen und Bahnstrecken.
Inzwischen ist auch in der brandenburgischen Hauptstadt Potsdam die Nachricht angekommen, daß der Standort Sperenberg kaum noch zu retten ist. Mit dem öffentlichen Verzicht ziert man sich aber – unter anderem, um in Berlin und Bonn noch ein paar finanzielle Stützen abzuziehen. Die Bundesregierung soll Millionen herausrücken, um das Gelände des alten sowjetischen Flugplatzes Sperenberg auszubaggern und zu sanieren. Spätestens am 24. Juni wollen die drei Gesellschafter der Flughafen-Holding ihre gemeinsame Standortentscheidung bekanntgeben. Ab dem Jahr 1998 soll dann gebaut werden.
Mit finanziellen Trostpflastern wird sich bald auch der Diepenseer Bürgermeister Michael Pilz auseinandersetzen müssen. Daß die spätere Enklave im Pistenbeton „keine attraktive Wohnlage“ darstellt, weiß auch Klaus Köllen, Sprecher der Schönefeld-Investoren. Umzugswilligen EinwohnerInnen bietet man deshalb an, neue Häuser weit vom Flughafen entfernt zu bauen. Das soll die zukünftige Gegenwehr auf der Straße und in den Gerichtssälen verringern.
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